Highlights im Rückspiegel des mehrspartig ausgerichteten KULTUM-Programms 2022: Eine Themenausstellung, die bis 14. Jänner 2023 geht, drei Personalen: "MUTTER GOTTES" (Judith Zillich), "Stigmata" (Till Velten), "Dinge" (Manfred Erjautz), DE PROPAGANDA FIDE: Das KULTUM als ein Museum, in dem Religion in der Gegenwart verhandelt wird, hat 2022 sein sehr spezielles Profil noch einmal geschärft, zwei Kunstbücher, ein Ausstellungsmagazin sind zudem entstanden. Augenzwinkernd, kritisch und analytisch hat es dabei Phänomene des Religiösen und der christlichen Imagination mitunter in seinen Grundfesten hinterfagt, Perspektiven aufgezeigt und poetisch weitergeschrieben: Einige der Werke werden im KULTUMUSEUM bleiben, was uns besonders freut. (Aus der Albertina Wien kehrt in den nächsten Wochen übrigens auch eine große Leihgabe des KULTUM zu Muntean/Rosenblum zurück, für 2023 ist – 20 Jahre nach "HIMMELSCHWER. Transformationen der Schwerkraft bei "Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas" – eine weitere Kooperation mit einem großen europäischen Museum in Planung – bald davon mehr.). Eine Tagung der österreichischen systematischen Theologie war im KULTUM zu Gast; es wurde nach dem Erkenntniswert der Kunst für die Theologie gefragt.
Hinter der "Unterbringung von Unendlichkeit" (Blumenberg-Tage 2022) verbargen sich in der LITERATUR-Reihe "es federt" vier Uraufführungen und zwei Lesungen eigens dafür geschriebener Texte, sowie ein spannender Diskursbrunch. Musikalischer Uraufführungen gab es auch für den Aschermittwochsgottesdienst in St. Andrä. Erneut wurde vom KULTUM der Preis der Diagonale 22 für den besten Kurdokumentarfilm gestiftet, die den Eröffnungsfilm aufnehmende Diagonale-Diskussion „Jugend ohne Gott. Identitätssuche on- und offline" hatte besondere Resonanz.
Die erste Ausgabe von „Nachwort der Dichter“ war Friederike Mayröcker gewidmet, zwei Mal lasen bei „Der doppelte Gast“ je zwei ganz herausragend Lyriker*innern der Gegenwart im KULTUM. Auch das "LITERATUR-Hotel" wurde mit drei ganz außerordentlichen Veranstaltungen belegt.
Gerhard Larcher, Professor für Fundamentaltheologie der Katholisch-Theologischen Faktultät Graz von 1991 bis 2014, ist am 18. Dezember 2022 nach langer, schwerer Krankheit gestorben.
Ein Nachruf von Johannes Rauchenberger
Die Wucht, die uns mit der „Kunst der Verführung“ und der Glaubenspropaganda ereilt hat, war so nicht vorgesehen. Das ist erfreulich und irritierend zugleich. Erfreulich, weil bis jetzt schon so viele durch die Ausstellung geführt werden konnten. Weil man dabei zur Kenntnis nehmen konnte, wie mutig vor 50 Jahren in unserem Lande die Kirche war, so, (wie es die Neubacher-Plakate zeigen), an die Öffentlichkeit zu gehen. Wie frei man hierorts die Bedingungen offenlegen kann, wie Glaubenspropaganda überhaupt entsteht und dass man sie so erzählen kann.
Das Bild der Päpste ist in einer Stadt wie Rom so vielschichtig und dominant, dass es gerade auch einen Spot auf die Gegenwart braucht, um die Bedeutung der Kunst für die Kirche herauszuarbeiten – nicht zuletzt durch die Aussagen der jüngsten Päpste, die werbend und widersprüchlich zugleich zu lesen sind.
Die Atmosphäre in Rom ist mit seinen Kirchen, Kuppeln und Menschen so untrennbar verbunden, dass ein Romstipendium auch für Künstler*innen betörend ist – bis heute.
Und dennoch: Um das inspirierende Feld von Gegenwartskunst und Kirche zu studieren, fährt man heute NICHT nach Rom ...
Wohin aber dann? Und welchen Beitrag liefern die Päpste dennoch für die Kunst? Eine spannende Frage. Yvonne Dohna-Schlobitten, Professorin für Kunstgeschichte an der Päpstlichen Universität der Gregoriana in Rom, hat dazu ein Buch geschrieben, das am 19. Oktober in Rom vorgestellt wird. Sie hat dazu Johannes Rauchenberger um eine Intervention gebeten: Die künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Bild des Papstes finden sich in den letzten Jahrzehnten vor allem in der Medienreflexion. Positionen von Nives Widauer, G.R.A.M., Maurizio Cattelan, Marta Deskur, Romuald Hazuomè, Michael Triegel werden im Online-Vortrag vorgestellt.
Es ist keine Zeit für Propaganda, bei Gott nicht. Der Riss, den dieser Krieg in der Ukraine auch durch unsere Köpfe zieht, macht uns mehr und mehr sprachlos. KUNST IM KRIEG, eine Vorlesungsreihe des Fachbereichs Fundamentaltheologie, organisiert von der neuen Professorin Martina Bär und ihrem Assistenten René Corvaia-Koch im KULTUM im kommenden Wintersemester (jeweils mittwochs), oder eine weitere Ausgabe von GELESEN. NEU ERZÄHLT. NEU GEMISCHT am 28. Oktober – einer Parallelisierung zum Simplicissimus im 30-jährigen Krieg –, sind ein Antwortversuch, dem mit etwas kulturellem Wissen zu begegnen.
Als mir der Titel zu dieser Ausstellung kam, hatte die Peinlichkeit des Titels noch ganz andere Züge. Jedenfalls waren aktuelle oder auch historische Aktualisierungen und Verwerfungen noch weit entfernt. Barbara Steiner, die frühere Kunsthaus-Chefin, hatte mich vor etwa zwei Jahren erneut eingeladen, bei einem großen Kooperationsprojekt mitzutun, das sich um das Plakat der letzten 100 Jahre drehen sollte. Ich sollte mich um die kirchlichen kümmern. Schließlich war für sie die Kooperation bei „Glaube Liebe Hoffnung“ (2018) die schönste in ihrer Amtszeit gewesen. Da sich bald herausstellte, dass der Übertitel von 8 Ausstellungen „Kunst der Verführung“ heißen sollte, war es mir aus der Hüfte geschossen, dass ich etwas über die „Propaganda fidei“ machen sollte. Das fand ich, das fand man, am Anfang durchaus lustig. Und ich erinnerte mich plötzlich auch an unser erstes Gespräch zu „800 Jahre Diözese Graz-Seckau“ und unser Ansinnen, im Kunsthaus die große Ausstellung machen zu wollen. „Alles, außer Propaganda!“ war die conditio sine qua non der damaligen Leiterin. Nun also, „posthum“ quasi, eine Propaganda-Ausstellung als Präsent im Nachhinein. Denn der Schriftzug auf dem Palazzo in der Nähe der spanischen Treppe – collegium urbanum de propaganda fide – klang doch so unbeschwert kühn: Das muss man sich erst mal trauen ...
Schließlich ist auch das Bedürfnis vieler Besucher*innen, über den neu renovierten Ort und seiner architektonischen und bildnerischen Botschaft etwas erfahren zu wollen, ziemlich groß. Es besteht ein ziemlicher kunsthistorischer Nachholbedarf. Dem wollen wir nachkommen! Und damit auch die geschichtlichen Fundamente ein wenig frei legen, die freilich weniger mit frommem Fluidum umgeben sein werden. Bilder haben Entstehungsbedingungen, sie haben Funktionen und wurden mit entsprechenden Strategien bestellt und gemalt. Und sie haben auch Ablaufdaten. Punkt.
Aber immer gibt es dann auch die Auftraggeber, die etwas abnicken, wagen oder fordern. Das waren damals die Minder-Brüder des Hl. Franz. Wie ist das heute? Damit bin ich aber auch beim zeitgenössischen Teil der Ausstellung – und dieser ist weniger ganz aktuell als vielmehr 50 Jahre alt. Aus heutiger Sicht sind die Plakate von Karl Neubacher (einem zentralen Teil der Ausstellung) ein weltweit einzigartiges Zeit-Dokument, der Kirche mit ihrer eigenen Botschaft auf den Zahn zu fühlen. Damals war es frech. Nur heute ist es ernst. Zumindest so ernst, das der Titel PROPAGANDA FIDEI einfach nur mehr lächerlich wirkt, weil er all die Allianzen von Kirche und Macht in der Geschichte hochspült: Auch unser Haus hier ist davon nicht befreit, so schön die franziskanische Erzählung auch sein mag. Aber es gibt auch Gegenwelten. Und von ihnen werden wir in der Ausstellung erzählen.
Wir brauchen in einer Zeit, wo es soziologisch keineswegs mehr gesichert ist, dass die Kirche die (über-)nächste Generation bei uns überhaupt erleben wird – man schaue nur auf all die Überforderungen der noch Aktiven, all die Zusammenbrüche, auf all die Banalitäten auch, mit denen man sich in Zeiten, wo nicht einfach sie selbst (siehe Cover!), sondern die Gesellschaft brennt, beschäftigt –, nicht von der „belle epoque“ des Reformkatholizismus reden und eine vergangene Zeit heraufbeschwören. Aber wir müssen ihre Bilder zeigen, sie hochhalten. Die Fundamentalisten dürfen nicht erneut siegen in Sachen propaganda fidei. Dann wird eine Museums-Arbeit im besten Sinne aktuell: Denn was jemand wie entscheidet, wie vor allem die Kreativen in entscheidende inhaltliche Prozesse eingebunden werden – das ist auch eine Frage für heute und morgen in einem radikalen Transformationsprozess von Kirche und Gesellschaft. Und man wird uns einmal daran messen. (Das hat übrigens – so glaube ich – die neue Kulturstrategie des neuen Landeshauptmanns verstanden, bravo!)
Dass die UNTERBRINGUNG VON UNENDLICHKEIT (Lucas Cejpek) eine Aufgabe auch im aktuellen Diskurs sein sollte, haben wir uns mit den erstmals stattfindenden „Blumenbergtagen“ vorgenommen: Auftragstexte, -kompositionen, ein Diskurs-Frühstück im Hof am 29. und 30. September. Lesen Sie nach! INS BLAUE ERNTEN dann bei der nächsten Ausgabe von „Der doppelte Gast“ Kathrin Schmidt und Birgit Kreipe am 17. Oktober. Dem Abschied wird dabei ein Willkommen gesagt. Zuvor gibt es Neue Musik. NODES. Knoten knüpfen. Am 5. Oktober. Und das wunderbare PIXI-Buch ist für junge Eltern bereits unterwegs. Be invited zu all dem und vielem mehr!
Felicitas Hoppe, die zu den großen Erzählerinnen der deutschen Gegenwartsliteratur zählt, hielt als Kind viel von Pfingsten: Bei der künstlerischen Einweihung des neuen Minoritensaals im vergangenen November bezeichnete sie Pfingsten als ihr „Lieblingsfest, weil der Geist Herr der Luft und sämtlicher Winde ist“ und weil „er die Feuerzunge erfand, die uns befähigt, in sämtlichen Sprachen zu sprechen […], weil er mit seinem Atem ein ganzes All erfüllt, von dem ich bis heute nichts weiß […] Und weil er in ständig wechselnden Gewändern von Sturm und Feuer und Flut bis heute ein Großmeister des Naturschauspiels ist“. Aber sie war ein Asthma-Kind. Wie konnte sie Gott schon damals so hängen lassen mit der Kurzatmigkeit?
Felicitas Hoppe verwebt in diesem Text ihre Asthma-Erinnerung als Kind mit einem Märchen von Hans Christian Andersen, im dem der Gesang der Nachtigall den Tod zum Gärtner macht, und ihrem flötenspielenden Vater während ihrer kindlichen Krankheit an ihrem Geburtstag zwei Tage vor Weihnachten und flechtet dabei das pfingstliche Atmen und sein Feuer, die Vertreibung des Todes durch den Gesang der Nachtigall im Märchen und das Weihnachtslied von „Lieb Nachtigall, wach auf“ ein. Mehr davon >>
Wie Felicitas Hoppe Pfingsten in diesem wunderbaren Text mit ATEM, mit dem Tod, dem Leben und dem Singen verknüpfte, möchte ich Ihnen heute als Pfingstgruß aus dem KULTUM senden. Ich habe diesen Text erst vor ein paar Tagen erst geschnitten, er ist also neu ... Hören Sie rein!
Bemerkenswerte Tage liegen hinter uns: die Galerientage, die am Wochenende mit einer der so zahlreichen Führungen von Manfred Erjautz und zeitgleich die Tage der afrikanischen Literaturen gestartet haben, folgten der so gelungenen und an Menschenmassen überquellenden Eröffnung des Design-Monats eine Woche vorher, die die drei Hoffassaden in helle Farben tauchte (mit im Gepäck die Ausstellungen „Design Everyday“ und „ZweckZwei – Shift Circular Design“, die bis zum 12. Juni hier zu sehen sind). Zwei Tage vorher die offizielle Eröffnung zur Renovierung der Minoritensäle ... Es waren jeweils andere Welten, die anders nicht sein konnten. Und sie zeigten jeweils sehr verschiedene Zugänge zu diesem Ort! Und für die Teilnehmenden, hie wie da, ein Fest.