DIE MASCHINE ERKENNT NICHT, SIE REGISTRIERT NUR. Schwendenwein und Esterbauer über La Mettrie‘s „L’homme machine“
Ziehen wir also den kühnen Schluss, dass der Mensch eine Maschine ist ...
Julien Offray de La Mettrie
[Eine Maschine wie die] Kamera erkennt nichts. Sie registriert nur.
Reinhold Esterbauer
Die Streitschrift L’homme machine des französischen Philosophen, Arztes und Aufklärers Julien Offray de La Mettrie löste 1748 eine breite Welle der Empörung am Hof des preußischen Königs Friedrichs II. aus. Umgehend verboten, stellte das Werk fundamentale Gewissheiten seiner Zeit infrage – und den Menschen gleich mit dazu. „Monsieur Machine“, wie La Mettrie wohl eher verächtlich als liebevoll genannt wurde, zog in dieser Schrift „den kühnen Schluss, dass der Mensch eine Maschine“ oder „die Seele nur ein Bewegungsprinzip oder ein empfindlicher materieller Teil des Gehirns“ ist. Auf Basis eines radikalen Materialismus sah La Mettrie alle geistigen Vermögen des Menschen wie Willensfreiheit, Vernunft oder Moral als Funktionen einer komplexen Maschinerie an. Begriffe wie Seele oder Geist, die die vom „Hofatheisten“ (Voltaire) verachteten Theologen und Metaphysiker gerne bemühten, bezeichneten für La Mettrie ebenso materielle Teile des Körpers wie „die Elektrizität oder das Bewegungsvermögen“. Die wahren Experten für den Menschen seien nicht jene, die solche Begriffe bemühten, sondern Ärzte: denn diese sind es, die der Funktionsweise der menschlichen Maschinerie auf die Spur kommen.
Nach einer mitunter satirisch aufgelockerten Einführung in die Biografie des Autors war es den beiden Diskussionsgästen wichtig, das Menschenbild de La Mettries – so erfolgreich und wichtig es auch für die Entwicklung der modernen Medizin war – auf das hin zu befragen, was das genuin Menschliche ist. Reinhold Esterbauer betonte, dass man den Blick für den ganzen Menschen in seiner Personalität verlieren würde, würde man die Seele als Teil des Körpers verstehen. Die „Utopie“, dass eine Künstliche Intelligenz (KI) etwa – nur weil sie eine bessere „Rechenleistung“ als der Mensch aufweisen könnte – deswegen schon moralisch höherstehen sei, stellte er ebenso infrage wie die völlige Ersetzbarkeit des Menschen durch eine Maschine. Gerade die Erfahrungen der Corona-Pandemie, in der der leibliche Kontakt vielen abhandengekommen ist, zeigt, was Maschinen nicht ersetzen können und wo auch eine digitalisierte Gesellschaft noch auf das Leibliche angewiesen ist. Er betonte die Wichtigkeit, mit dem Erfolg moderner Medizin nicht zugleich das genuin Menschliche aus den Augen zu verlieren und die Gleichsetzung des Menschen mit einer Maschine zu akzeptieren.
Auch Victoria Schwendenwein betonte die Verantwortung der Gesellschaft, gegen Menschenbilder aufzutreten, bei denen das Menschliche verloren geht. Zugleich – trat sie als Vertreterin einer digital mitgewachsenen Generation auf – aber sollten wir Maschinen nicht als Feinde ansehen oder der Digitalisierung mit Angst begegnen, sondern die Unterschiede von Mensch und Maschine nicht übergehen. Sie mahnte ein, dass wir es uns „nicht zu bequem machen dürfen“ und uns nicht selbst in Abhängigkeit etwa einer Künstlichen Intelligenz begeben dürfen, um es uns etwa in der Arbeit leichter zu machen. Persönlich fand sie es beruhigend, dass etwa der dialogbasierte KI-Chatbot „ChatGPT“ das urösterreichische Wort „Jause“ zwar übersetzen aber nicht treffend erklären oder kulturell kontextualisieren kann. Die Betonung des Grundmenschlichen beider Gäste eröffnete einen breiten Reigen an Fragen und Perspektiven zu brennenden Fragen der Gegenwart.
Daniel Pachner