Interview mit SYNEMA
Wie würdet ihr das Missionstatement von SYNEMA formulieren?
SYNEMA: Die Zielsetzung von SYNEMA ist und war es stets, einen grenzüberschreitenden Diskurs anzuregen, zwischen den Disziplinen, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Künstler:innen und Wissenschafter:innen. Wir unterziehen Film und Medien in Seminaren, Workshops, Symposien, Vorträgen, Gesprächsreihen und Retrospektiven einer Befragung und versuchen interessierten Besucher:innen die Bandbreite unserer jeweiligen kulturwissenschaftlichen, historischen, soziologischen, biografischen oder ästhetischen Betrachtungsweise zu vermitteln. Unsere Publikationen, die unsere Arbeit dokumentieren, sollen diesen Vermittlungsaspekt weiter vertiefen und über die Veranstaltungen hinaus präsent halten.
Stichwort Forschung: Ihr begebt euch immer wieder in die Untiefen von Filmarchiven und auf die filmischen Spuren emigrierter österreichischer Filmschaffender. Ist es der Blick von außen auf Österreich, der euch fasziniert? Seht ihr es als Auftrag das Medium Film zu nutzen, um Zeitgeschichte am Leben zu halten (Zitat Dickinson, UN-Film-Department)
Es sind die Spuren emigrierter österreichischer Filmschaffender, die uns interessieren. Es gibt hierzulande ja nach wie vor keinen Lehrstuhl für Exilforschung, geschweige denn für die Beschäftigung mit Exilfilm und Filmexil. Wir bemühen uns seit Jahren außeruniversitär, diesem Umstand entgegenzuwirken und haben dabei das Glück, mit vielen verlässlichen Partner:innen im In- und Ausland kooperieren zu können – bei Filmschauen, Publikationen, Symposien und Vorträgen. Eigentlich sind es ja die Filme selbst, die die Zeitgeschichte lebendig halten, wir stellen „nur“ den historischen und biografischen Kontext her, der allzu oft sträflich vernachlässigt wird. Und wir versuchen, das Wissen aus unseren Recherchen möglichst niederschwellig rüberzubringen, weil wir überzeugt sind, dass das eher und gerne aufgegriffen wird und damit auch nachhaltiger im Gedächtnis bleibt.
„Filme zu sehen, ist eine Art zu denken“ – lautet ein Zitat des Filmmuseums in Referenz auf Amos Vogel. Ist es historisches Filmmaterial, das uns daran erinnert, wie wir (schon einmal) gedacht haben, und was wir nicht vergessen dürfen, im Heute und in Zukunft anders zu machen?
Es ist schön, dass sich das Filmmuseum seit ein paar Jahren (auch) auf Amos Vogel beruft. Das war ja nicht immer so, denn historisch vertrat das Filmmuseum eine entschieden andere Position. Der Essenzialismus des zyklischen Programms von Peter Kubelka schreibt einen Kanon fest, hingegen waren Vogel, sein Filmclub Cinema 16 und seine Theorie vom Kino als subversive Kunst offen für die unterschiedlichsten filmischen Formen – insbesondere auch für ephemeres Filmschaffen.
Was die Frage nach den historischen Filmen und dem Nicht-Vergessen betrifft, möchten wir anhand unseres Programms zu den „Displaced Persons“ antworten: Es erinnert sehr nachdrücklich daran, dass Vertreibung, Flucht und Migration nicht erst heute ein brennendes Thema sind, sondern schon das ganze 20. Jahrhundert hindurch und dass es auch in der Filmgeschichte schon die unterschiedlichsten Auseinandersetzungen damit gegeben hat. Pathetisch gesagt: Nur wenn man die Vergangenheit kennt, wird man für die Gegenwart gewappnet sein.
„Wir sind mehr als froh und glücklich immer wieder mit SYNEMA zusammen arbeiten zu dürfen. Ganz persönlich gesprochen gehört SYNEMA zu jenen intellektuellen Bollwerken, die ich sehr bewundere“, so Diagonale-Intendant Peter Schernhuber über die jahrelange, freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem Festival des österreichischen Films.
Das Kompliment von wegen Bollwerk würden wir der Diagonale – und unseren andern Partner:innen in Wien, Berlin und London – gerne zurückgeben, denn ohne sie hätten wir keinen Ort, um die von uns kuratierten Filmschauen in ihrer adäquaten Form zu präsentieren: nämlich im Kino, auf großer Leinwand.
In Referenz auf die Podiumsdiskussion im KULTUM am 11. Juni: Was weiß das Kino, was wir vielleicht nicht wissen?
Eine schöne Frage, die aber nicht nur das Kino, sondern in gewissem Maße jede Kunstform betrifft. Filme können uns verstören, innerlich bewegen, zum Lachen bringen und zu neuen Erkenntnissen verhelfen – das Kino „weiß“ also vielleicht Dinge, die wir als Publikum, um es mit einem Begriff von Heide Schlüpmann zu sagen, in der „intimen Öffentlichkeit“ des gemeinsamen Filmesehens erst lernen. Identifikation könnte so etwas sein, oder, wie man heute so inflationär sagt: Empathie.
Wie habt ihr das letzte Jahr genutzt, nachdem keine Festivals stattfinden konnten bzw. nicht in der gewohnten Form?
Es war natürlich auch für uns ein Schock, dass voriges Jahr zuallererst die Diagonale und in der Folge viele weitere Festivals abgesagt werden mussten, mit denen wir schon Konkretes vereinbart hatten. Andererseits haben wir enormes Glück gehabt, denn unsere beiden größten Retrospektiven konnten im Sommer in Berlin stattfinden. Und auch die zwei begleitenden Publikationen über den emigrierten Schauspieler Adolf Wohlbrück/Anton Walbrook sowie den Dokumentarfilmer und Kritiker Hartmut Bitomsky sind rechtzeitig fertig geworden und haben großen Anklang gefunden.
Was erwartet das Publikum im Historischen Filmprogramm 'Displaced Persons'? Was darf es sich nicht erwarten?
Es sind Filme, die mehrheitlich von vertriebenen Filmschaffenden gedreht wurden. Sie sind kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und erzählen vom tristen Alltag in den DP-Lagern, den Schicksalen der Versprengten, der Angst vor Ignoranz, der Hilflosigkeit und Einschüchterung, aber auch der großen Anstrengung, schier uferlose Flüchtlingsströme aus der Verlorenheit wieder in ein geordnetes Leben zurückzubringen. Was sich das Publikum erwarten kann? Vielleicht einen Anstoß, über ähnliche Problematiken heute nachzudenken: wie traumatisierte Flüchtlinge denunziert, rassistisch gegen sie argumentiert und aus zynischem politischen Kalkül die Grenzen dichtgemacht werden.
Im Katalogtext heißt es, das Filmprogramm widmet sich den Lebenswelten von displaced persons und ihren filmischen Werken. Wie kam es zur Verdichtung auf diese 3 (+3) Filme?
Die ausgewählten Filme sollen das Leben auf der Flucht oder im DP-Lager auf sehr unterschiedliche Art und Weise beleuchten. Realisiert haben sie Emigranten wie Peter Lorre, Fred Zinnemann oder Alexander Hammid, die von den Nazis aus dem Land ihrer Geburt vertrieben wurden. Es sind drei dokumentarisch inspirierte Arbeiten: ein unbearbeitetes Dokument des US Army Signal Corps vom April 1945, der Kurzfilm Out über die Ungarnkrise 1956 und das Flüchtlingslager Traiskirchen und schließlich Reminiszenzen, ein Rückblick des Avantgardefilmers Jonas Mekas auf seine Jahre als Displaced Person in Deutschland.
Außerdem noch drei der wenigen Spielfilme der Nachkriegszeit, die sich dieses Themas angenommen haben: Von Fred Zinnemanns semidokumentarischem Werk Die Gezeichneten/The Search (1947) über das Drama Portrait from Life (1949), das einem nach London emigrierten jüdischen Professor auf der Suche nach seiner im DP-Camp verschollenen Tochter folgt, bis hin zu Peter Lorres einziger Regie-Arbeit Der Verlorene (1951), der virtuos die Frage nach persönlicher und politischer Schuld in einem Nachkriegslager aufrollt.
Neben dem Blick der displaced persons, wird auch der Umgang mit ihnen aus Sicht jener Länder bzw. Personen gezeigt, die sie aufgenommen und ihnen temporär eine Heimat gegeben haben? Fremde und Heimat ist ja immer auch eine Frage der Perspektive der Erzählenden.
Diese Frage erscheint uns etwas zu „konzeptionell“ gedacht. Es geht weniger um Fremde oder Heimat, sondern, weil die Filme ja ganz nah am Zeitgeschehen waren, um das große Durcheinander nach 1945. Fast alle Protagonist:innen sind noch unterwegs, ihre Wunden sind noch frisch; es ging den Filmen darum, die Öffentlichkeit mit den Mitteln des (Erzähl-)Kinos wachzurütteln und für das Schicksal der meist staatenlosen Displaced Persons zu sensibilisieren.
Ihr strebt keinen sentimentalen Blick des Nachkriegskinos an, keine Heimattümelei. Ist euch der Blick auf das Verlorengehen, der Demütigung, des Trostlosen und dem Versuch der Eingliederung so wichtig, weil es klarstellt: Das hat noch immer mit uns und dem Heute zu tun?
Ja, sicher hat das mit uns zu tun. Die tagtäglichen Demütigungen und Ängste von Menschen auf der Flucht waren damals die gleichen wie heute. Was sich geändert hat, ist die mediale Darstellung: Jede:r kennt die entsetzlichen Bilder aus den Flüchtlingslagern in Griechenland oder von der brutalen Räumung des „Dschungels“ von Calais, aber berühren sie noch? Oder werden mit dem Dauerrieseln der immer gleichen Nachrichtenbilder die Probleme nicht auch gleich entsorgt?
Stichwort Programm: Die Filme und ihre Geschichten sind miteinander verwoben, wie The Search ein Auslöser für Jonas Mekas war Filmemacher zu werden. Stand für euch das Erzählen von höchst unterschiedlichen Perspektiven von displaced persons im Fokus oder war es die zeitliche Distanz mit der sie auf die jeweilige Situation geblickt haben?
Wenn es historische Querverbindungen zwischen Filmen gibt, dann greifen wir sie natürlich nicht ungern auf. Jeder dieser Filme ist ein Unikat, ziemlich einzigartig. Und weil du Jonas Mekas’ kritische Bemerkung über The Search ansprichst, der vorher erwähnte legendäre Kurator und Filmdenker Amos Vogel hatte darauf schon wieder eine ganz andere Sicht: „The criterion of any work of art can neither be its content nor its method of treatment, but only its sincerity and artistry. Neither art nor truth are the monopoly of the documentary“, schreibt er 1953 in einem Text und nennt dann eine Reihe von Werken, in denen man beides finde, Wahrheit und Kunst – Werke von Bunuel, de Sica, Chaplin und Filme wie Zinnemanns The Search, Carl Theodor Dreyers Tag des Zorns oder Renoirs Die Spielregel.
The Search steht für die durchaus ambivalente Rolle bzw. Stellung von Regisseuren wie Fred Zinnemann – wenn man die Entstehungsgeschichte kennt. Wird diese Ambivalenz und die Entschärfung des Dokumentarischen auch im Film selbst sichtbar?
Er kam von der Avantgarde und vom Dokumentarischen her. Er ist einer der Pioniere des Spielfilmmachens „on location“ und The Search war die erste internationale Produktion, die nach dem Krieg auf deutschem Boden gedreht wurde. Seine Auseinandersetzungen mit dem Produzenten sind Legende, nicht immer ging er siegreich aus ihnen hervor. Manches in The Search, beispielsweise die Off-Erzählerin, wollte er schon damals genauso wenig wie wir, die wir den Film heute sehen.
Portrait of Life – Steht dieser Film für das Phänomen, dass Leid oft verallgemeinert wird um die Realität einer bestimmten Randgruppe und die damit verbundenen „Schuld“ bzw. Verantwortung der Gesellschaft als Ganzes für diese zu reduzieren und sich schön zu reden?
So hoch würden wir das lieber nicht hängen. Portrait from Life, ein hierzulande völlig unbekannter Film, war uns abgesehen von seiner Besetzung – es wirken ein Dutzend altösterreichische Emigrant:innen mit – als Beispiel für einen Genrefilm wichtig. Er ist spannend und unterhaltsam und eine Art missing link zwischen den Anti-Nazi-Filmen der Kriegsjahre und diesen typisch britischen World-War-II-Filmen der 1950er und 1960er.
Außerdem war uns wichtig, einen Film dabei zu haben, der eine junge Frau als Protagonistin hat. Gespielt wird sie von Mai Zetterling, die auf die Rolle der verfolgten Unschuld abonniert war. Damals war sie ein Opfer des Type-Casting, später – und auch darauf wollen wir unbedingt hinweisen – wurde sie selbst zu einer bedeutenden europäischen Filmemacherin.
Ich danke euch für das Gespräch!
Natalie Resch, Kuratorin Film im KULTUM