Hermann Glettler, geb. 1965, studierte Theologie und Kunstgeschichte und wurde 1991 zum Priester der Diözese Graz-Seckau geweiht. Seit 2017 ist er Bischof von Innsbruck. Mit zahlreichen Initiativen versucht er eine zeitgemäße christliche Spiritualität zu fördern, die sich den drängenden Fragen unserer Zeit stellt. Er engagiert sich ebenso für Benachteiligte und für einen ernsthaften Dialog mit zeitgenössischer Kunst.
Abualwafa Mohammed, Dr., Religionspädagoge und muslimischer Theologe. Er studierte an der renommierten al-Azhar Uni in Kairo, RelPäd. & Interkulturelle Studien in Wien/Salzburg und promovierte in Karlsruhe. Nach einer fünfjährigen Tätigkeit als Imam arbeitet er seit 2012 als Religionslehrer in Wien. Seit 2020 ist er Hochschullehrer. Forschungsschwerpunkte: Friedensbildung & zeitgemäßer Islam.
Uns trennen Welten. Wir wurden an weit voneinander entfernten Orten geboren und sind in komplett unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen – der eine im Nildelta in Ägypten, der andere auf einem Bauernhof in der Steiermark. Nicht nur unsere Kindheiten, sondern auch unsere schulischen und universitären Laufbahnen waren völlig unterschiedlich. Beruflich sind wir uns in Graz im Jahr 2010 begegnet. Ein katholischer Pfarrer im multikulturellen Bezirk Gries und ein azharitischer Imam in seinem Moscheeverein in der Nähe des Grazer Bahnhofs.
Wir beiden nahmen unsere spirituellen Leitungsaufgaben und Verantwortung für einen guten gesellschaftlichen Zusammenhalt wahr. Dennoch standen wir beide unter kritischer Beobachtung. Einerseits von der eigenen Glaubenscommunity und andererseits von einer skeptischen Öffentlichkeit argwöhnisch betrachtet – von beiden Seiten nicht allzu viel Verständnis für Dialog und Begegnung. Diese Umstände hätten uns leicht zu Gegenspielern machen können, die die Religion des anderen zumindest kritisch betrachten, wenn schon nicht grundsätzlich ablehnen. Dennoch hat sich zwischen uns eine Freundschaft entwickelt.
Nun, 15 Jahre später, wird unser gemeinsames Auftreten von vielen als selbstverständlicher Ausdruck einer religiös bunten Gesellschaft wertgeschätzt. Von anderen vermutlich eher als naive Anbiederei oder Infragestellung einer wertorientierten Leitkultur abgelehnt. Vielleicht gewinnt dieses Buch gerade deshalb an Bedeutung, weil es ein Dokument unserer Freundschaft ist. Sie ist über Jahre und Krisen hinweg gewachsen. Keine Institution und kein Programm sind als Auftraggeber dahinter. Es ist einzig und allein unser Wunsch, mit unserem verschriftlichten Gespräch ein kleines Zeichen gegen die neue Härte in unserer Gesellschaft zu setzen.
Wir sind überzeugt, dass dies nicht primär durch theoretische Analysen funktioniert, sondern durch ehrliche Begegnungen. Deshalb auch viele Hinweise und Erzählungen von Menschen, die sich gegen eine gefährliche Dynamik des Bösen entschieden haben. Schließlich lässt uns das Ausmaß an Hass und Entfremdungen, die wir vielfältig beobachten, oft ratlos zurück. Gerne möchten wir etwas tun, damit der persönliche und kollektive Hass nicht als Lösung oder gangbarer Weg in Konfliktsituationen erachtet wird. Wir haben bei der Erstellung von diesem Dialogbuch die Erfahrung gemacht, dass unser Austausch auch für uns selbst einiges geklärt hat. In diesem Sinne laden wir alle Leserinnen und Leser ein, daran teilzunehmen.
Die Gliederung des Gesprächs haben wir mit fünf Kapiteln versucht, denen als Überschrift jeweils eine Frage und eine klare These vorangestellt sind. Letztlich zeigt jedoch der Verlauf des Gesprächs ein kreisendes Ringen um die wesentlichen Fragestellungen, die darüber entscheiden werden, ob wir das wirklich Menschliche in uns und in unserer Gesellschaft bewahren und schützen können. Um nicht nur einen theoretischen Diskurs anzuregen, schließen wir jedes Kapitel mit einigen Handlungsimpulsen ab. Sie sollen einen Anstoß geben, um möglichst rasch in ein konkretes Tun zu kommen.
Einen ernsthaft geführten Dialog sehen wir als einzige Chance, um den gefährlichen Aggressionsschüben unserer Zeit nicht vollkommen ausgeliefert zu sein. Wir sind überzeugt, dass sich an der Dialogfähigkeit die Zukunft unserer Gesellschaft entscheiden wird. Auch der Fortbestand und die Weiterentwicklung einer liberalen Demokratie hängen davon ab. Unsere Entscheidung für einen ausführlichen Dialog, der den konfliktbeladenen Themen nicht ausweicht, steht modellhaft für viele Versuche menschlicher Verständigung. Wir wollen sie nicht nur von anderen fordern, sondern damit beginnen – dankbar für viele Menschen, die uns darin ein Vorbild sind.