24 Stunden und mehr? Diagonale-Diskussion zum brisanten Thema "Pflege" im Dokumentarfilm
Das Diskurspanel der „Diagonale“ im KULTUM nimmt jährlich Themen auf, die sich jeweils aus den produzierten Filmen ergeben und gesellschaftliche, soziale und politische Brisanz aufweisen: Dieses Jahr ist es das Thema Pflege. Lange tabuisiert oder im öffentlichen Debattenfeld nicht existent, kann man „Pflege“ nicht länger nicht thematisieren. Fast alle, die davon betroffen sind, geben zu, für diesen „Ernstfall“ nicht vorbereitet gewesen zu sein. Psychische, aber auch physische Überforderung stellen sich rasch oder auch erst später ein, wer seine Angehörigen selbst zu Hause pflegt. Wer aber Hilfe holt, wird Teil eines Hierarchiegefälles, über das man gar nicht gerne spricht: Woher kommen die Menschen eigentlich, die meinen Vater, meine Mutter, meinen Partner oder Partnerin betreuen sollen, wenn sie allmählich oder auch plötzlich das Alltägliche nicht mehr schaffen? Wie kommt man zu ihnen? Wer soll helfen, bitte jetzt sofort und vor allen anderen mir?
Ein schillerndes Panorama höchst prekärer Fragen, die tief unter die Haut gehen: KULTUM-Leiter Johannes Rauchenberger diskutiert mit den Regisseur*innen Harald Friedl („24 Stunden“), Maria Pichler („MâineMă Duc – Tomorrow I Leave“), Reiner Riedler („Die guten Jahre“), Simona Ďurišová (Juristin, Vertreterin des Vereins "IG24" und Tochter einer slowakischen Betreuerin) sowie der Leiterin des Pflegewohnhauses der Caritas in Neumarkt, Andrea Schnedl ein existenzielles, gesellschaftliches und soziales Thema auch auf dieser Diagonale '24.
Der Dokumentarfilm „24 Stunden“ von Harald Friedl begleitet die 50-jährige Rumänin Sadina Lungu auf ihrem Weg von Rumänien nach Österreich zu einer 85-jährigen Frau in Bad Vöslau, die sie schon seit 14 Jahren pflegt. Drei bis fünf Monate hält sie am Stück durch, ehe sie einen Monat heimfahren kann, um mit ihren Liebsten, die sie finanziell unterstützt, zusammen zu sein und das zu tun, was sie gerne möchte. Eine außerordentliche Geschichte einer „Heldin“, die jedes vermeintliche Klischee durchbricht. Und doch wird nach und nach sichtbar, wie prekär das Thema Pflege unter uns ist. Lungu steht für geschätzte 40.000 Frauen aus Rumänien, die plötzlich auftauchen (sollen), „wenn es so weit ist“.
„MâineMă Duc – Tomorrow I Leave“ (Regie: Maria Lisa Pichler, Lukas Schöffel), ein weiterer Film auf der Diagonale '24, wirft einen derartigen Blick der Arbeitsmigration einer Familie in Rumänien, deren Mutter in Österreich Pflegedienstleisterin ist – von ihren Kindern allerdings will später keiner weg.
Der Körper braucht Pflege nicht nur in der letzten Lebensphase, sondern auch in der ersten – und zwischendurch. „Corpus Homini“ (Regie: Anatol Bogendorfer) zeigt den Körper, der lebenslang Pflege braucht, nicht nur Hilfe, aber auch. Er weitet den Blick auf das ganze Leben, nicht nur auf den letzten Lebensabschnitt. Filme wie „Die guten Jahre“ (Regie: Reiner Riedler) thematisieren den möglichen Verlust von Erinnerung, ohne die Menschsein allgemein als defizitär angesehen wird. Und dennoch werden hier so manche Rollen umgekehrt, etwa wenn die demente Mutter eher den krebskranken Sohn, der wieder zu Hause eingezogen ist, pflegt, als umgekehrt.