Der doppelte Gast: "hab keine Angst, ich zittre ja": Ursula Krechel und Daniela Danz. Einführung: Barbara Rauchenberger
Aus der Einführung von Barbara Rauchenberger
Herzlich willkommen – zu einem Lyrikabend in der Reihe „Der doppelte Gast“, die nunmehr zum siebenten Mal stattfindet.
Was die „Begegnung mit Gedichten immer wieder aufs Äußerste gefährdet, ist die Mechanik der eigenen Lese-Routine“, schreibt der Literaturkritiker Michael Braun. Wie das? Man suche so etwas wie „semantische Befriedigung“ und überlese dabei die Fließbewegung eines Textes. Und so verlässt der unbewegte Leser das Gedicht, „die Laken nicht zerknittert, da hat die Poesie sozusagen nicht übernachtet“. Dieser schöne Satz stammt von Osip Mandelstamm.
Bei den Gedichten von Ursula Krechel und Daniela Danz greifen diese Mechanismen der Lese-Routine nicht mehr. Ihre Gedichte lassen sich nicht nacherzählen. Sie folgen höchst komplizierten Bewegungen, Sinnhaftes wird beinahe verschleudert und wer kann einer Schleuder schon unbewegt und selbstsicher folgen und/oder den eigensinnigen Sprachschritten, die ihre Gedichte rhythmisieren, gar die Stange halten für ein „zügiges doch undichtes Ballett“. Hier also ist der Raum und der großformatige Spiegel und ich sehe, was tanzt, hat sein Bett längst verlassen und alles was ich jetzt noch zu sagen habe, ist bereits in dieser Krechel Zeile, die diesem Abend den Titel gab, beinhaltet: hab keine Angst, ich zittre ja. Ich zittre ja und nein, ich fürchte mich nicht. Warum?
Weil ich mich doch gleich Ursula Krechel zuwende!
Ursula Krechel
wurde 1947 in Trier geboren, studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Seit 1974 zahlreiche literarische Veröffentlichungen, Theaterstücke, Gedichte, Hörspiele, Romane, Essays. Für ihre Romane „Shanghai fern von wo“, „Landgericht“ und „Geisterbahn“ (alle erschienen im Jung Jung Verlag) wurde sie vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis. Mit dem ebenfalls im Jung Jung Verlag im Frühjahr 2021 erschienen Gedichtband BEILEIBE UND ZUMUTE habe ich sie eingeladen. Sie kam, angereist aus Berlin, eine lange (stürmische) Fahrt, dafür bin ich ihr sehr dankbar.
Ursula Krechel hat einmal ihren poetischen Prozess als „dauernden Scheidevorgang“ beschrieben, als tastendes Ausloten unendlich vieler sprachlicher Möglichkeiten, die sich an jedem Versende ins Unendliche verzweigen. Ich lege mich also gewaltig in den Kopf, wenn ich ihre Gedichte lese. Und ich entdecke sogleich, was Sie erwidern könnte:
Der Denkende kommt zu spät, wenn er sagt: Ich denke/dachte ich, oder das Denken hat ihm einen Streich gespielt (…) Das ist kein Satz, der sagt: „Zieh deinen Kopf ein“. Das ist kein Urteil, sondern ein überzeugender Einwand. Die Geburt der Sprache, wie das Hervorbringen eines Fohlens: Zunge, die leckt – dass etwas geschieht. Wenn aus Verstand Verständnis wird und Können Stolpern heißt. Wer käme hier nicht zu spät. Und wir können uns dann fragen: Ist Ursula Krechels Sprache nicht unentwegt zu spät und deshalb pünktlich, ja genau am Punkt, eben weil sie schreibt: Siehe: Die Sprache balanciert auf hochgespanntem Seil, stürzt ab/wenn sie herunterblickt auf den Gegenstand, über den sie spricht? Der Punkt der Sprache sind die Arme der Dinge und ich denke mir die Arme der Dinge offen. Und am Seil, dort oben, gibt es kein Zu-spät-Sein, dort oben ist das Spät-Sein zu Hause. Ursula Krechels Sprache ist selbst wie ein Seil und das Seil ist ja keines, das vom Himmel fällt. Und ein Seil ist zumeist dicker als eine Leine und dünner als ein Tau, ist wörtlich eigentlich das, was verbindet. Ich meine, es verbindet, also es kümmert sich um das Einzelne, aber es verbindet auch einen mit einer und vielen. Diese Sprache ist immer hochaktuell, eben wie dieses hochgespannte Seil. Vielleicht wie eine Gerade, also mit offenem Anfang und offenem Ende. Und der Balanceakt, das Schreiben, kommt und geht vor dem Fall und nach dem Fall kommt das abermalige Auf- und Niederschreiben. Oder wie es im letzten Text dieses Gedichtbandes heißt: Die Sprache ist eine Mulde, Wasser sammelt sich in ihr, Worte brüten. Sie ist kein Tunnel, der von hier nach dort führt.
Dieser Gedichtband versammelt „BEILEIBE“ 62 Gedichte, darunter zwei große Zyklen mit jeweils mehr als 10 Gedichten, die alle dicht verfugt und verzahnt sind, stets Gedanke und Laut miteinander verwebend. Diese Sprache arbeitet, bis es dicht wird und spürbar und einleuchtend zugleich, bis die Geister, Gespenster, Stimmen, die ärgerlichen rosa Blasen und Tränen der Gegenwart sich zeigen, weil: Erkenntnis ist nach wie vor möglich, auch wenn es an anderer Stelle heißt: genau genommen wissen wir wenig/oder nur was zum einen Ohr reingeht/und durch die Dunstabzugshaube raus.
Und daher weht er, dieser Krechelsche Trost, der die Sprache stürmt und den Lesenden anhaucht, wenn er nur bereit ist mit dem Finger Zeile für Zeile zu lesen. Krechels Ton ist innen hell und außen genau. Der Schalk sitzt im Nacken der Wirklichkeit. Der Schalk ist ein Seiltänzer und irgendwie scheint er darüber der Heilfrohe zu sein. Vielleicht einer kleinen Bärin nicht unähnlich. Jedenfalls ist es ein denkbar großes Wunder, wie weit sie sich „VERMUTLICH“ entfernt hat von all den Tanzbären unter der dunklen Kuppel des Himmels.
Daniela Danz
Daniela Danz ist keine, die der Wildnis aus dem Weg geht. Vielmehr fängt das Schreiben an, wenn es dicht wird. Und die Wildnis hat nichts Abstraktes, sie hat Grenzen, hat ihre Sprache, lässt unser Herz schneller schlagen. Aber wir können sie uns nur mühsam zu eigen machen, wohl nie wird sie uns in Ruhe lassen. Wildnis ist das, worauf wir ein Auge haben und was uns, begreife ich die Gedichte von Daniela Danz ein wenig, mit einer Art von Dringlichkeit beschenken könnte. Ein Geschenk wie ein Vorrat, fruchtbar und furchtbar zu gleich, denn Wildnis kann sich nicht trennen in die, die wir brauchen, und die, die wir nicht brauchen können.
Daniela Danz wurde 1976 in Eisenach geboren und studierte Kunstgeschichte und Deutsche Literatur. Sie arbeitet als Autorin (in ihrem literarischen Werk befinden sich neben vier großartigen Gedichtbänden auch zwei Romane, Kinderbücher und Essays), sowie als Lehrende an der Universität Hildesheim. Außerdem leitet sie das Schillerhaus im thüringischen Rudolstadt und lebt heute in Kranichfeld an der Ilm.
Bereits 2019 wurde ihr für einen Auszug aus dem Manuskript von „Wildniß“ der Deutsche Preis für Nature Writingverliehen und heuer bekam sie für diesen überzeugenden Gedichtband als erste Preisträgerin den neu ins Leben gerufenen Günter-Kunert-Literatur-Preis überreicht. In einer Aussendung der Jury lese ich:
„Die Gedichte von Daniela Danz überzeugen durch ihre ganz eigene, zugleich herbe und vielfältige Sprache, durch ihre feste Verankerung in unserer Gegenwart ebenso wie durch die Echos einer großen lyrischen Tradition.“
Die Wildnis, in die der Leser, die Leserin gerät, schreibt Daniela Danz mit „ß“ (so steht es am Cover ihres Buches!). Und das ist natürlich gewagt, auch spitz und eigensinnig ist es, das so zu schreiben, aber Daniela Danz holt damit eine Schreibweise mit ins Gelände, wie sie im späten 18., frühen 19. Jahrhundert verwendet wurde. Und damit Hölderlin, der sich vor allem in seinen späten Gedichten gegen diese, seine Wildniß absichern musste. (Ein Wort, das akustisch nahe am Wort Biss gebaut ist!) Hölderlin versuchte zu überwinden, was für ihn Bedrohung war in einer Zeit, in der das Paradies und die Wildnis noch ein Bild und eine Verheißung waren. Daher dieser Hölderlingrund, aus dem viele dieser Gedichte in diesem Band emporragen wie Grüntürme an einem Wasserfall oder entlang einer künstlichen Treppe wachsen. Und dennoch steht das Wort Wildnis im Inneren des Buches stets richtig geschrieben, (also so,wie wir es heute schreiben), wenn es gleich im zweiten Gedicht heißt: KOMM WILDNIS IN UNSERE HÄUSER/zerbrich die Fenster komm/mit deinen Wurzeln und Würmern (…).
Oder an einer anderen Stelle, wenn die Dichterin von der Wildnis der Rede spricht: (…) die Rede verirrt sich irrt umher/sie redet in Strömen (…). Ein ganzes Kapitel mit über 10 Gedichten widmet Daniela Danz der sprechenden Wildnis, in deren wuchernden Strudel auch diese, unsere Krise geraten war: in die Wildnis der Pause (LOCKDOWN!). Oder aber Danz besingt den Punkt, der die Welt aus den Angeln hebt, dort, wo einer sich selbst vorausging und nun dem eigenen Rücken nachgeht, dort, wo einer fortgeht in das Innere einer Not. Hier also wird der Punkt zur Notwendigkeit. Und die Not zum springenden Punkt.
Ich erschrecke darüber, wie diese Dichterin zu denken wagt, mit welchen Umwandlungen sie das Denken aufnimmt, wie sie, was ohnehin bereits eine glasklare Katastrophe ist, weiterwendet. Diese Gedichte wagen eine doppelte Wende, manchmal wird daraus beinahe ein Wiegen, ein Einatmen und ein Ausatmen, auch eine Einsicht und ein Begehren. Nie aber sind sie „a gmahde Wiesn“. Ich frage mich also, singt diese Dichterin, wenn sie schreibt, weiß sie Bescheid? Über eine romantische Medizin? Über eine, die auch Inger Christensen zu Verfügung stand: „eine sprache/die erzählt/daß der körper/die toten/erwecken kann/wie/eine sprache/die erzählt/daß liebkosungen/die toten/erwecken können (…).“
Bei Daniela Danz klingen die Gebrechen. (…) du setzt die Nacht auf/und welkes Gras fällt dir in die Stirn/ (…) du hast die Stunden ausgezogen und wieder/angezogen und in die Maschine gesteckt/man kann sie getrost noch einmal nehmen:/ein kleiner Vorrat fast nicht benutzter Tage. Ich bin selten auf einen Gedichtband gestoßen, der in dieser Art und Weise unentwegt, natürlich schlüssig war.