Museum Raum 07

Manfred Erjautz: No one less/Niemand weniger, 1966/2011

Ist die Lebenszeit messbar? Die Uhr ist in der Ikonografie ein Symbol des Todes. Hier aber rinnt kein Sand, die Faltblätter tragen keine Ziffer. Der österreichische Künstler Manfred Erjautz vergoldete eine elektromechanische Faltblattuhr der Marke Solari in allen ihren Bestandteilen, somit auch in den die Minuten, Stunden und Tage anzeigenden Faltblättern. Vor uns liegt nun ein Werkzeug, das der Erfassung der Endlichkeit dient, nun aber transformiert wurde in eine auratische Ikone im Spannungsfeld von Materialität und Immaterialität, von der menschheitlichen Erinnerung zur Erfassung von Zeit hinein in eine Abfolge von göttlich gestalteter Ewigkeit. Die Plastik beschäftigt sich mit historischen Bildvorstellungen, gesellschaftlichen Ordnungssystemen und Abhängigkeitsverhältnissen, deren Vergänglichkeit, Transformierbarkeit und Aktualität. Die Faltblätter, die im Minuten-, Stunden- und Tagestakt weiterblättern, lassen die uns vertraute Zeitmessbenennung nicht mehr zu. Man hört das Ticken und sieht die dazu einander bedingenden Bewegungen der Faltblätter –, allein das Ordnungssystem selbst ist nicht zu sehen. Denn sowohl Gehäuse als auch die Faltblätter wurden galvanisch vergoldet. Somit ist auch die Ziffer als Ordnungssystem selbst nicht mehr zu sehen. „’Ziffer’ leitet sich aus dem Arabischen ‚sifr’, gleichbedeutend mit ‚Null’ oder dem Wort ‚leer’, ab, steht aber sinnbildlich auch für ‚Unendlichkeit’ und ‚das, was alles Existente beinhaltet’“ (Manfred Erjautz). Noch ein feines Detail ist zu erwähnen: Die Modellbezeichnung EMERA der Marke Solari (Udine) wurde bis auf die Lettern ME unkenntlich gemacht: Die Signatur des Künstlers ist das eine, das ME als der Bezug des Betrachters das andere – und der Bezug zu diesem eigenartig anmutenden Gold-Gesicht, das eine andere Zeit strukturiert und den Betrachter mit hinein nimmt in die Vorstellung dieser Ewigkeitsuhr: It’s me.

No one less/Niemand weniger, 1966/2011. Solari Emera (elektromechanische Faltblattuhr nach Entwurf von Gino Valle, Werk 40689, Baujahr 1966, 110 –220 Volt), vergoldet, schutzlackiert, inkl. Aufhängung, innen signiert und beschriftet: The non-simultan | Manfred Erjautz:

Manfred Erjautz

geboren 1966 in Graz, lebt und arbeitet in Wien. Er studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und ist Mitglied des Forum Stadtparks und der Wiener Sezession. Er wurde mit dem Msgr. Otto Mauer Preis (1999) und dem Humanic Preis im Rahmen des Förderungspreises des Landes Steiermark (2008) ausgezeichnet. Im KULTUM wurde Erjautz in den Ausstellungen „GESTURES OF INFINITY. Religion und Emotion in einer globalisierten Welt“ (2007), „Prometheus!“ (2010), „mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst“ (2010), „1+1+1=1 Trinität“ (2011) und “Glaube Liebe Hoffnung” (2018) gezeigt.

born in Graz in 1966; lives and works in Vienna. He studied at the Academy of Fine Arts Vienna and is a member of Forum Stadtpark and the Vienna Secession. He was awarded with the Monsignore Otto Mauer Prize(1999) and the Humanic Award in the frame of the Advancement Awards of the Provincial Government of Styria (2008). Erjautz’ works were shown in the KULTUM in the exhibitions “GESTURES OF INFINITY“ (2007), “Prometheus!“ (2010), “mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst“ (2010) and “1+1+1=1 Trinität“ (2011).

zurück

Manfred Erjautz: No one less/Niemand weniger, 1966/2011

Can lifetime be measured? In iconography, the clock is a symbol of death. But no sand is trickling here, the flip leaves have no number. The Austrian artist Manfred Erjautz gold-plated all components of an electromechanical flip clock by the brand Solari and thus also the flip leaves, which indicate the minutes, hours, and days. Now, we are confronted with an instrument to capture finitude which has been transformed into an auratic icon between the poles of materiality and immateriality, humankind’s memory to capture time and a sequence of eternity created by God. This sculptural piece deals with historical conceptions of the image, social systems of ordering and relationships of dependence, their perishability, transformability, and topicality. The flip leaves, which flip on minute by minute, hour by hour, and day by day, don’t allow for any familiar naming of timing anymore. One hears the ticking and one sees the interdependent movements of the flip leaves—yet the system of ordering itself is invisible because both the housing and the flip leaves were hidden by galvanic gold-plating. Thus the numeral, or cipher, as the system of ordering is itself invisible too. “’Cipher’ derives from the Arabic word “sifr”, which means “zero” or “empty” but also stands metaphorically for ‘infinity’ and ‘that which contains all things that exist’” (Manfred Erjautz). Another fine detail must be mentioned too: The model designation EMERA of the brand Solari (Udine) was disguised except for the letters ME: The artist’s signature is the one thing, the ME as the viewer’s reference the other— and the reference to this odd-looking gold face that structures a different time and takes the viewers into the conception of the clock of eternity: It’s me.

Text aus | Text from: Johannes Rauchenberger: Gott hat kein Museum. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts. | No Museum Has God. Religion in Art in the Early 21^stCentury. (IKON. Bild+Theologie, hg. von | ed. by Alex Stock und Reinhard Hoeps), Verlag Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2015, S. | p. 744-745.