Museum Raum 02

Michael Triegel: Ave Maria, 2016

Dass man mit technischer, ja altmeisterlicher Perfektion die christliche Sakralkunst neu auf das öffentliche Debattenfeld bringen kann, hat der Leipziger Maler Michael Triegel in den letzten Jahrzehnten vielfach bewiesen. Seit Jahren füllt seine Kunst die Kulturseiten des deutschen Feuilletons. Triegels Unerschütterlichkeit in der formalen Perfektion ist nur das eine, seine tiefe Kenntnis ikonografischer Symbolik aus christlicher Malereigeschichte ist das andere Pfand seines künstlerischen Erfolgs.

Die hier gezeigte Zinklitographie ist ein Geschenk des Künstlers für das Engagement, seinen Altar „Deus Absconditus“ für das KULTUMUSEUM Graz zu erwerben – ein Ansinnen, das leider gescheitert ist. (Der Altar hängt jetzt als Dauerleihgabe in einer Berliner Kirche.) Dargestellt ist eine barocke Madonna in reichem Faltenwurf, stark in der Untersicht aufgenommen, was wiederum einen Anbetungsgestus des Betrachters unterstellt. Die Haltung der Madonna ist jene der Empfängnis in der Verkündigung: „Ave Maria“ ist nicht nur die Anrede des Engels, sondern auch der Titel des Bildes. Doch dieser Engel ist kein Engel, sondern eine schreiende, verwesende Katze, halb Fleisch, halb Skelett. Ist es der Schrei der Kreatur vor einer Statue? Der Schrei der verwesenden Endlichkeit? Der Schrei vor der stoischen Haltung der Jungfrau? Vor ihrer bleibenden Schönheit, während alles herum zerfällt? Oder heißt es, die Tiere im ganzen „Erlösungsspiel“ vergessen zu haben? Maria sitzt auf einem ganzen Friedhof tierischer Knochen. Das „apokalyptische Weib“ stand nur auf der Schlange... Zerbrochen ist hier die Zusage des Engels. Doch unmissverständlich geht es hier um die verlorene und die erlöste Schöpfung, um den großen Bogen, der mit der Spiegelung von EVA und AVE angezeigt ist. Kurzum, es geht ums Ganze. Wer hat Erlösung not, was ist das? Für wen und wovon?

Ave Maria, 2016, Zinklithografie, 107,5 x 75,5 cm, KULTUMdepot Graz, aus: VULGATA. 77 Zugriffe auf die Bibel, (2017) | Michael Triegel

Michael Triegel

geboren 1968 in Erfurt, lebt und arbeitet in Leipzig. Triegel arbeitete zunächst als Schrift- und Grafikmaler und studierte ab 1990 Malerei und Grafik bei Arno Rink an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Im Anschluss absolvierte er ein Meisterschülerstudium bei Ulrich Hachulla. Das Oeuvre des Künstlers umfasst neben Landschaftsskizzen und Stillleben auch ikonische Andachtsbilder, großformatige Altartafeln und Portraits in altmeisterlicher italienischer Malweise. Er malte das offizielle Portrait von Papst Benedikt XVI. Zum "Luther-Jahr" ist seinem sakralen Werk eine Ausstellung im Leipziger Museum gewidmet. Im KULTUM wurde Triegel in den Ausstellungen „reliqte, reloaded: Zum Erbe christlicher Bildwelten heute” (2015/16) und „VULGATA. 77 Zugriffe auf die Bibel“ (2017) gezeigt.

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Over the past few decades, Leipzig-based painter Michael Triegel has repeatedly demonstrated that Christian sacred art can be brought back into the public debate with technical, even old-master perfection. For years, his art has filled the culture pages of German newspapers. Triegel‘s unwavering commitment to formal perfection is only one aspect of his artistic success; his profound knowledge of iconographic symbolism from Christian painting history is another. The zinc lithograph shown here is a gift from the artist for the commitment to acquire his altar ‘Deus Absconditus’ for the KULTUMUSEUM Graz – a request that unfortunately failed. (The altar is now on permanent loan to a church in Berlin.).

The painting depicts a Baroque Madonna in rich folds, captured from a low angle, which in turn suggests a gesture of worship on the part of the viewer. The Madonna‘s posture is that of the Annunciation: ‘Ave Maria’ is not only the angel‘s greeting, but also the title of the painting. But this angel is not an angel, but a screaming, decaying cat, half flesh, half skeleton. Is it the cry of the creature before a statue? The cry of decaying finitude? The cry before the stoic posture of the Virgin? Before her enduring beauty, while everything around her decays? Or does it mean that the animals have been forgotten in the whole ‘drama of salvation’? Mary sits on a graveyard of animal bones. The ‘apocalyptic woman’ stood only on the serpent... Here, the angel‘s promise is broken. But this is unmistakably about lost and redeemed creation, about the great arc indicated by the reflection of EVA and AVE. In short, it‘s about everything. Who needs redemption, what is it? For whom and from what?

Literatur: Johannes Rauchenberger, aus: VERTRAUT UND FREMD. VULGATA 77. Zeitgenössische Zugriffe auf die Bibel im Dommuseum Mains (Publikationen des Bischöflichen Dom-und Diözesanmuseums Mainz, Bd. 11), Mainz 2019, S. | p. 42.