Einem Bergkristall gleich steht die glasverkleidete und Sonnenlicht reflektierende Stahlkonstruktion im Zentrum von Aigen im Ennstal und markiert die dem heiligen Florian geweihte Kirche. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg liefen Bestrebungen zum Bau einer Kirche. Erst in den 1980er-Jahren wurde das Projekt wieder konkreter. Volker Giencke (*1947) erhielt dazu den Planungsauftrag – nachdem er den Wettbewerb für die Pfarrkirche Lannach gewonnen hatte, aber nicht realisieren konnte. Ein schon 1962 angekaufter Baugrund wurde nach langwierigen Verhandlungen gegen den heutigen Platz getauscht, da Giencke bestrebt war, mit der Kirche eine geometrische und soziale Mitte für Aigen zu schaffen. Dabei betont ein von Norden nach Westen verlaufender Bach den Bereich als „heiliger“ Bezirk, der über drei Brücken betreten werden kann. Drei Baukörper bestimmen die Anlage: Kirche, Pastoralhaus und Glockenturm, der auf Betreiben der Bevölkerung dem zunächst turmlosen Entwurf zugefügt wurde. Der Grundriss der Kirche – Sakristei und Gesprächsraum eingeschlossen – folgt einem ungleichen Vieleck. Richtung verleiht dem Bau das zweischalige Dach, dessen Unterkante der Innenschale dem Kirchenraum – „wie ein Bootsrumpf konstruiert“ (Giencke) und auf Stützen und Wänden aufliegend – Richtung gibt. Die äußere Schale ist an den Rändern mit einer Schaufelkonstruktion versehen, sodass, mit Erde bedeckt, eine begrünte, 600 m2 große Dachfläche entsteht. Die auskragende und die Vorplätze überdeckende Dachfläche gibt so der Natur einen Großteil der verbauten Fläche als Wiese zurück. Der Innenraum der Kirche zeigt sich halb von Glas, halb von Mauerwerk umgeben. Altarwand und Eingangswand bestehen aus verputzten Betonwänden, geplanter Naturstein hätte den Kostenrahmen gesprengt. Die nordseitige Trennwand zur Sakristei, in die Nischen für eine Orgel eingelassen sind, weisen dagegen „nur“ rot lasierte Baustellenoberfläche auf. Vor der Altarwand mit Wandöffnungen des Altarkreuzes und der Tabernakelstele erstreckt sich die einstufige erhöhte Altarzone. Vom Eingang bis hierher fällt der Fußboden leicht ab zum Altar. Dieser zeigt sich als Zusammenfügung von Materie und Licht und wurde geschaffen, indem ein Glaskubus von der Bevölkerung mit Glasbrocken befüllt wurde. An der Süd- und Westseite werden die massiven Wandflächen von hochaufragenden Glaswänden abgelöst. Vor die innere Wand aus Refloglas, das die Konturen der Außenwelt verschwimmen lässt, sind farbige Platten aus Antikglas gesetzt. Schienen ermöglichen eine Veränderung der Farbanordnung. Farbe und Licht sind die bestimmenden Komponenten dieses Baus, der anknüpfend an die mittelalterliche Lichtmetaphysik und durch die Verwobenheit von innen und außen, sakral und profan beim Erahnen des Göttlichen helfen will.
Heimo Kaindl
VOLKER GIENCKE Architektur / Architecture, 1990–1992, Kirche Hl. Florian, Aigen im Ennstal | Diözese Graz-Seckau
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VOLKER GIENCKE Architektur / Architecture, 1990–1992, Kirche Hl. Florian, Aigen im Ennstal
Altar, Kircheninneres / Interior space of the church
Like a rock crystal, the church dedicated to Saint Florian, a glass-clad steel and wood construction reflecting the sunlight, stands in the centre of Aigen im Ennstal. There had been efforts to build a church already before World War II, but the project had not been actually tackled until the 1980s. Volker Giencke (*1947) was commissioned to plan it, and deliberately chose the present location after protracted negotiations. His ambition was to create a geometrical and social centre for Aigen. Thereby, a creek flowing from the north to the west marks the area as a “sacred” district, which can be entered over three bridges. The buildings are defined by three structural shells: Church, parish house, and bell tower, which was added to the at first towerless plan at the instigation of the local population. The floor plan of the church—including sacristy and meeting room—follows an irregular polygon. The double-leaf roof—the bottom edge of which is “constructed like a boat hull” (Giencke) and supported by pillars and walls—aligns the church space, aligns the building. A shovel construction was applied to the margins of the outer shell, so that the roof could be covered with soil in order to create a grass surface of 600 m2 on the roof. The projecting roof surface that covers the forecourts thus gives a large part of the developed surface back to nature in the form of grassland. One half of the interior space of the church is surrounded by glass, the other by brickwork. The altar wall and the entrance wall are plastered concrete walls. The north-facing partition wall to the sacristy with embedded niches for an organ “only” have a scumbled red construction site surface. Infront of the altar wall, which contains opening for the altar cross and the tabernacle stele, the floor level slightly declines from the entrance to the altar and leads to the main altar, which is elevated by one step. The altar is a fascinating combination of matter and light, a plain glass cube, which was filled with pieces of glass by the local population. The massive wall surfaces make room for towering glass walls on the south and the west side. Coloured panels of antique glass were placed in front of the inner wall of AR-coated glass, which makes the contours of the outer world that shines through blur. Runners would even make changes of the colour arrangement possible. Colour and light are the crucial elements of this building, which—taking up the medieval metaphysics of light and the interwovenness of inside and outside, sacral and mundane— aims to help us have a presentiment of the divine right on the village square of Aigen.
Text aus |Text from: Sakral : Kunst, Innovative Bildorte seit dem II. Vatikanischen Konzil in der Diözese Graz-Seckau | Sacred Art Innovative Pictorial Sites in the Diocese of Graz-Seckau since the Second Vatican Council. Ausgewählt und mit Texten erläutert von | Selected and explained with texts by Hermann Glettler, Heimo Kaindl, Alois Kölbl, Miriam Porta, Johannes Rauchenberger, Eva Tangl. Mit einem Einleitungsessay von | with an introductory essay (German only) by Johannes Rauchenberger, Regensburg 2015, S. | p. 300-303.