Museum Raum 08

Ann-Sofi Sidén: In Passing, 2007

Das Glück ist ohne Pardon – vor allem dann, wenn es nicht als solches angenommen werden kann. Denn Schwangerschaft kann vieles bedeuten. Sie kann die reine Freude sein. Oder Angst. Oder Schmerz. Wie auch immer es ist: Die schwedische Künstlerin Ann-Sofi Sidén beleuchtet in ihrer Kunst die dunklen Seiten. In einem Stipendiumaufenthalt in Berlin lernte sie erstmals die Einrichtung einer „Babyklappe“ kennen. Die Babyklappe, die sich an der Außenmauer einer Gebärstation befindet, ist eigentlich eine Lade mit Griff, die sich heraus ziehen lässt. Dahinter befindet sich ein Bettchen, in das das Baby gelegt werden kann. Kurze Zeit nach dem Schließen der Klappe ertönt ein Signal im Kreissaal und das Kind wird dann sofort von einer Hebamme übernommen und dem zuständigen Kinderarzt übergeben. Eine solche Situation hat Ann-Sofie Sidén in Berlin gefilmt: Wie die Mutter das Baby, von dem sie sich in wenigen Momenten trennen wird, hinträgt, die Klappe öffnet, das Kind in das Bettchen legt – und wie es in der Klinik übernommen und versorgt wird. Dieser einschneidende Akt steht im Zentrum der Arbeit und wird durch zwei Monitore mit den Bildern der Überwachungskameras der Babyklappe veranschaulicht. Auf vier diagonal im Raum angeordneten Projektionsflächen wird in Andeutungen die Geschichte von Mutter und Kind erzählt. Auf zwei großflächig nebeneinander gezeigten Videos wird die Protagonistin bei ihrem Gang zur Babyklappe und den ersten Schritten danach in eine ungewisse Zukunft begleitet. In den gegenüberliegenden Projektionen wird das Geschehen im Krankenhaus vor und nach dem Auffinden des Kindes nachgezeichnet. Die formale Anordnung der bewegten und bewegenden Bilder ist entscheidend und schafft eine räumliche Komposition, in deren Mitte gleichsam als Schnittstelle die Babyklappe fungiert.

In Passing, 2007, 6-Kanal Video Installation, synchronisiert, mit Sound und Säule, 14’, Courtesy Christine König Galerie, Wien. Aus der Ausstellung: mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst (2010) | Ann-Sofi Sidén

ANN-SOFI SID…NIn Passing, 20076-Kanal Video Installation, synchronisiert, mit Sound und S‰ule14 minEd. 5 + 2 a.p.Courtesy Christine Kˆnig Galerie, Wien

Ann-Sofi Sidén

geboren 1963 in Stockholm, Schweden, lebt und arbeitet in Stockholm und New York. Sie studierte in Berlin und Stockholm. Anfangs als Malerin tätig, erweiterte sie ihre künstlerische Praxis zur Video-, Film- und Performancekunst bis hin zur Bildhauerei. Ihre Arbeiten thematisieren die menschliche Psyche und die Mythologisierung des „Selbst“ und wurden u.a. im Musée d’Art Moderne Paris, im Contemporary Arts Museum in Houston, in der Reina Sofía in Madrid, sowie bei der Biennale in Sydney und 53. Biennale von Venedig präsentiert. Im KULTUM wurde Sidén in der Ausstellung „mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst“ (2010) gezeigt.

born in Stockholm, Sweden, in 1963; lives and works in Stockholm and New York. She studied in Berlin and Stockholm. Initially a painter, she extended her artistic practice towards video, film, and performance art, and even sculpture. His works thematize the human psyche and the mythologization of the “self”; they were presented i.a. in the Musée d’art moderne, Paris, in the Contemporary Arts Museum, Houston, Texas, in the Reina Sofía, Madrid, as well as at the Sydney Biennale and the 53rd Venice Biennale. Sidén’s works were shown in the KULTUM in the exhibition “mutter. Neue Bilder in zeitgenössischer Kunst“ (2010).

zurück

Ann-Sofi Sidén: In Passing, 2007

Happiness Has No Mercy—particularly if it cannot be accepted as such. For pregnancy can mean many things. It can be pure joy. Or fear. Or pain. Whatever the case may be: The Swedish artist Ann-Sofi Sidén sheds light on the dark sides in her art. In the frame of a fellowship in Berlin, she saw the facility of the so called “baby flap” for the first time. The baby flap, which is located in the outer wall of a maternity ward, is actually a drawer with a handle which can be pulled out. Behind it, there is a little bed to put in the baby. Shortly after the flap is closed a signal rings out in the labor room and a midwife picks up the baby and hands it over to the pediatrician in charge. Ann-Sofie Sidén filmed such a situation in Berlin: How the mother who will abandon her baby in a few moments brings it there, how she opens the flap and lays the child into the little bed—and how the hospital takes it over and looks after it. This radical act takes center stage in this work and is visualized by means of two screens showing the images of the surveillance cameras of the baby flap. The story of mother and child is hinted at on four projection surfaces which are diagonally arranged in the gallery space. Two videos shown side by side on large screens accompany the protagonist on her way to the baby flap and her first steps after that, into an uncertain future. The projections on the opposite wall trace the events in the hospital before and after the baby was found. The formal arrangement of the touching moving images is crucial, and it creates a spatial composition in whose center the baby flap works virtually as an interface.

Text aus | Text from: Johannes Rauchenberger: Gott hat kein Museum. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts. | No Museum Has God. Religion in Art in the Early 21^stCentury. (IKON. Bild+Theologie, hg. von | ed. by Alex Stock und Reinhard Hoeps), Verlag Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2015, S. | p. 844-845.