WIE PROPHETISCH IST DIE POPULÄRKULTUR? - Steve Rabitsch und Julia Baier im Gespräch
[E]s gibt da einen beeindruckenden Instinkt für das, was in der Luft liegt. Bereits vor zwanzig Jahren schilderte Emmerich die Erderwärmung als Menschheitsgefahr. Er filmte tätowierte Paramilitärs, die das Weiße Haus stürmen, zeigte Tausende weiße US-Amerikaner, die nach einer Naturkatastrophe verzweifelt versuchen, über die Grenze nach Mexiko zu gelangen.
Das schreibt Katja Nicodemus in der Zeit über die erstaunlich „prophetische“ Arbeit des laut und bildgewaltig zwischen Kommerz und Trash agierenden US-Weltuntergangsregisseurs Roland Emmerich. Damit sind wir schon mitten in unserer neuen KULTUM-Diskursreihe SEISMOGRAPHICS angelangt, die wir mit dem Amerikanisten und Populärkulturexperten Stefan Rabitsch sowie der angehenden Kulturvermittlerin und Studentin Julia Baier eröffnen werden: Diese Reihe blickt auf die zunehmend grafisch werdende und sich in ästhetisierenden Medien manifestierende (Film, Streaming, Tiktok, Social Media, Hip Hop …) Populärkultur und fragt, ob bzw. wie sehr diese ein Seismograph für große oder subtile gesellschaftliche Entwicklungen und „Zukünfte“ (so die Kulturwissenschaftlerin Eva Horn) ist. Zukünfte, die oft noch nicht sichtbar sind, aber – die Krisenkaskade namens Gegenwart zeigt dies auf oft unheimliche Weise – popkulturell offenbar „angekündigt“, aufgegriffen oder antizipiert wurden und werden. So etwa im ironisch-gesellschaftskritischen Film The Big Short von 2015, der eine Reaktion auf den epischen Wall Street Crash von 2008 war und der gleichzeitig eine - aus heutiger Sicht - unheimliche „Anspielung“ auf die Corona-Pandemie enthält. Ebenso wie bestimmte Krisen- und Katastrophenfilme auf ein beunruhigendes Morgen verweisen oder ein „Schnappschuss des Jetzt“ sind (so Pia Reiser auf fm4.at), scheinen auch (deutschsprachige) Songtexte seismographische Qualitäten zu besitzen: Like mich am Arsch sang die die Anarcho-Band Deichkind 2015 und nahm bereits damit den nur bedingt „sozialen“ Gedankenkrieg auf Facebook, Twitter und Telegram vorweg. Übrigens zahlt sich auch ein kurzer Blick auf Science-Fiction-Formate in diesem Kontext aus.
Wie prophetisch ist sie also, die Populärkultur? Stimmt es, dass etwa das Bedürfnis nach solchen Krisen- und Katastrophenstreifen, also nach gepflegtem Kino-Trash, der schlimme Zukünfte genüsslich auswälzt, „nie größer war“ (so Magdalena Miedl auf ORF.at)? Und welchen Sinn hat eine Auseinandersetzung mit poppigen seismographics? Regt sie uns zu alternativen Gedankenspielen an?
Hier geht es zu Bildnachlese & Kurzbericht von Kurator Florian Traussnig