Guillaume Bruère: DEAD & ALIVE. Alte Meister

Existenzielle Betroffenheit
Mit einem fremden und zugleich ungeheuer anteilnehmenden Blick des Künstlers ist die diesjährige Frühlingsausstellung des KULTUM in der Fasten- und Osterzeit zu charakterisieren. In seinem Werkverzeichnis lauten diese Werke „Religious Themes“. Sie sind ohne Auftrag entstanden. Sie entbehren aber auch der sonst üblichen Distanz bei diesen Themen, sie sind ohne Ironie, sie sind aber auch ohne Affirmation. Und dennoch sind sie ungeheuer radikal. Dafür aber bricht sich eine existenzielle Betroffenheit die Bahn, die dieses Werk im zeitgenössischen Kontext von Kunst und Religion beinahe singulär erscheinen lässt. In Bruères Archiv sind Hunderte an Blättern, Skulpturen – vor allem kleine Kreuze – archiviert. Nun kommen große Leinwände hinzu, die jeweils nur einen Titel tragen: Das Datum der Vollendung.
Existential concern
This year's KULTUM spring exhibition during the fasting and Easter period can be characterized with a strange and at the same time extremely compassionate gaze of the artist. In his catalog raisonné these works are called “Religious Themes”. They were created without a commission. But they also lack the usual distance with these topics, they are without irony, but they are also without affirmation. And yet they are tremendously radical. In return, an existential concern breaks the ground that makes this work appear almost singular in the contemporary context of art and religion. Hundreds of sheets and sculptures - especially small crosses - are archived in Bruère's archive. Now there are large canvases, each with just one title: The Date of Completion.
Guillaume Bruère, 15.5.2020, Acryl auf Leinwand, 195x145 cm, Courtesy of the Artist
Unvoreingenommen religiös
Bruères mitunter sehr subversiv zu nennende Zeichenkunst (die sowohl ein Interesse an historischen Themen und Heraldik anzeigt als auch an gegenwärtigen Herausforderungen wie die Flüchtlingskrise) ist hier auf die christliche Religion ausgeweitet. Mit einer exzessiven Hingabe widmet Bruère sich christlichen Sujets, die im KULTUM das erste Mal in einer Einzelausstellung gezeigt werden. Der Künstler wuchs in seiner Heimat Frankreich klassisch säkularisiert ohne christliche Erziehung auf. Religion kam auch im Studium nicht vor. Er fand erst – nach Deutschland übersiedelt – und nach intensiven Museumsbesuchen einen Zugang zum Christentum, das ihn als genauen Beobachter expressiver Maltraditionen zu faszinieren begann. „Ich getraue mich eigentlich zu sagen, dass ich es der Malerei verdanke, dass ich begonnen habe die Frage nach Gott überhaupt stellen zu können. Malerei, so betrachtet, verstehe ich für mich auch als Werkzeug, ohne das ich auch spirituell verloren wäre. In der konkreten Beziehung mit der Kunst wurde dieser Aspekt für mich viel konkreter. Die Epoche, zu der ich aber nach und nach Gefallen fand, ist eben eine, in der es sehr um religiöse Motive geht, also das späte Mittelalter. Ich konnte mich mit religiösen Motiven eigentlich unvoreingenommen auseinandersetzen. Mir ging es zunächst verstärkt um die Epoche, dadurch konnte ich mit diesen Motiven etwas anfangen, ich hatte einfach keine Scheu, weil ich sie ja nicht kannte.“
Without prejudice to religion
Bruère's art of drawing, which can sometimes be called very subversive (which shows an interest in historical subjects and heraldry as well as in contemporary challenges such as the refugee crisis), has been expanded here to include the Christian religion. With excessive devotion, Bruère devotes himself to Christian subjects, which are shown for the first time in a solo exhibition at KULTUM. The artist grew up in his native France, classically secularized, without a Christian upbringing. Religion did not appear in the course either. It was only after moving to Germany and after intensive museum visits that he found access to Christianity, which began to fascinate him as a close observer of expressive painting traditions. “I actually dare to say that I owe it to painting that I have even begun to be able to ask the question about God. Seen in this way, I also see painting as a tool, without which I would also be lost spiritually. In the concrete relationship with art, this aspect became much more concrete for me. The epoch, which I gradually came to like, is one that is very much about religious motifs, that is, the late Middle Ages. I was actually able to deal with religious motives with an open mind. At first I was more concerned with the epoch, so I was able to do something with these motifs, I just wasn't shy because I didn't know them. "
Die historischen Partner, von deren malerische Schöpfungen er sich in vielen seiner Werke unmittelbar herausfordern lässt, heißen zum Beispiel – neben Vincent van Gogh oder Picasso – Matthias Grünewald, Martin Schongauer, Dieric Bouts, Hans Baldung Grien, Konrad Witz, Hans Schäufelein, Lucas Cranachs d. Ä., Jan van Eyck, Albrecht Dürer oder Rogier van der Weyden: Die altdeutsche und niederländische Malerei ist voll von Bildern biblischer Erzählungen, die in das damalige Heute transponiert worden sind. Bruère zeichnet die Figuren aus diesen Vorbildern und liefert sie dabei einer fiebrig-emotionalen „Verheutigung“ und damit Neuschöpfung aus: „Ich bin da, und es malt in mir“, sagt er über den Malakt vor Originalen im Museum, in dem er sich ganz der Unmittelbarkeit hingibt und in dem sein Auge in die malende Hand zu wandern scheint. Der Malprozess wird zu einem innigen Prozess zwischen dem Künstler und den Dargestellten, die ihm förmlich aus den Bildern zuzurufen scheinen. Bruère zeichnete in großen europäischen Museen wie in Zürich, Karlsruhe, Stuttgart, Berlin und im Zuge der Ausstellung "Glaube Liebe Hoffnung" im Kunsthaus Graz und KULTUM (800 Jahre Diözese Graz-Seckau) auch eine Woche lang in der Mittelaltersammlung der Alten Galerie am Universalmuseum Joanneum in Graz. Innerhalb von vier Tagen sind etwa 40 Zeichnungen entstanden; das KULTUM konnte einige dieser Zeichnungen erwerben. „Bildpartnerinnen“ sind zahlreiche Madonnendarstellungen aus der Spätromanik und der Gotik, Veroniken, Gethsemaneszenen, Beweinungen oder Pietà-Darstellungen. Oder auch ein Weihnachtsbild aus Admont (1470), das die Anbetung des Kindes in Form der „Birgitta-Vision“ zeigt: Das Kind liegt als Lichterscheinung am Boden und wird von seiner Mutter und den Engeln angebetet. In den Zeichnungen wird diese spezielle Beziehung zwischen der Mutter und dem Licht-Kind dreifach variiert, das Motiv fortlaufend abstrahiert und durch expressive Linienführungen verstärkt.
The historical partners, whose painterly creations he allows himself to be challenged directly in many of his works, are for example - in addition to Vincent van Gogh or Picasso - Matthias Grünewald, Martin Schongauer, Dieric Bouts, Hans Baldung Grien, Konrad Witz, Hans Schäufelein, Lucas Cranachs d. Ä., Jan van Eyck, Albrecht Dürer or Rogier van der Weyden: Old German and Dutch painting is full of images of biblical narratives that have been transposed into the present day. Bruère draws the figures from these models and delivers them to a feverish, emotional "contagion" and thus a new creation: "I am there, and it paints in me," he says of the act of painting in front of originals in the museum, in which he is completely who surrenders to immediacy and in which his eye seems to wander into the painting hand. The painting process becomes an intimate process between the artist and the sitter, who seem to call out to him from the pictures. Bruère drew in large European museums such as Zurich, Karlsruhe, Stuttgart, Berlin and in the course of the exhibition "Faith, Love Hope" in the Kunsthaus Graz and KULTUM (800 years of the Diocese of Graz-Seckau) also for a week in the medieval collection of the Alte Galerie at the Universalmuseum Joanneum in Graz. About 40 drawings were created within four days; KULTUM was able to acquire some of these drawings.
"Pictorial partners" are numerous depictions of the Madonna from the late Romanesque and Gothic periods, veronics, scenes from Gethsemanes, contemplations and Pietà representations. Or a Christmas picture from Admont (1470), that shows the adoration of the child in the form of the "Birgitta vision": The child lies on the ground as a light phenomenon and is adored by its mother and the angels. In the drawings, this special relationship between the mother and the light child is varied three times, the motif is continuously abstracted and reinforced by expressive lines.
Guillaume Bruère wird stimuliert durch ein gefühltes Bildgespräch: „Die Bilder rufen mich“, sagt der Künstler vor den Gemälden Alter Meister. Seine Hand wird beim Zeichnen buchstäblich selbstständig. Sein Auge ist dabei an das Bild des Originals gefesselt. Man kann mitunter sogar sagen, dass seine Augen in die Hände wandern, mit denen er – auch die Fremdheit der alten Bildschöpfungen – neu sehen lässt. Die Entstehungszeit der Zeichnung selbst weist oft nur ein paar Minuten auf. Zeit aber genug, etwas vollkommen Neues aus den alten Bildern herauszuholen. Und vor demselben Motiv entsteht einen Tag später ein ganz anderes Bild.
Guillaume Bruère is stimulated by what feels like a picture conversation: “The pictures call me,” says the artist in front of the Old Masters paintings. His hand literally becomes independent when drawing. His eye is tied to the image of the original. Sometimes you can even say that his eyes wander into the hands with which he - including the strangeness of the old pictorial creations - lets us see anew. The drawing itself is often only made in a few minutes. But enough time to get something completely new out of the old pictures. And a day later, a completely different picture emerges in front of the same motif.
Radikale (religiöse) Bilder
Ab 2017 entstehen auch großformatige Leinwände, in denen Kreuzigungen, Madonnen, Adam und Evas beinahe malerisch explodieren. Ein mehrmonatiger Schaffensrausch ist ihnen gewidmet. Die Scheulosigkeit den dargestellten Figuren gegenüber aber zeigt sich nicht nur in allen seinen Museumszeichnungen, sondern auch in seinen großformatigen Leinwänden oder auch kleinen und großen Skulpturen, etwa in Jeans gewickelte Kreuze.
Da ist etwa ein gelbes Lamm, hingeworfen auf eine Bank, zwischen den Beinen ein Kreuz: Dies ist ein frühes Beispiel von Skulpturen des französischen Künstlers Guillaume Bruère hinsichtlich religiöser Themen. Das gelbe Lamm zählt zu den frühen Skulpturen des Künstlers, die eine oft surreale Bildsprache christlicher Ikonografie mit Staunen, Befremden und Faszination nachzubuchstabieren scheinen: Wie kann ein Lamm mit einem Kreuz auf eine Bank geworfen sein?
Radical (religious) images
From 2017, large-format canvases were also created in which the crucifixions, Madonnas, Adam and Eve explode almost painterly. A creative frenzy lasting several months is dedicated to them. The horror of the figures portrayed is evident not only in all of his museum drawings, but also in his large-format canvases and small and large sculptures, such as crosses wrapped in jeans. For example, there is a yellow lamb thrown on a bench with a cross between its legs: this is an early example of sculptures by the French artist Guillaume Bruère on religious subjects. The yellow lamb is one of the artist's early sculptures that seem to re-spell the often surreal imagery of Christian iconography with astonishment, alienation and fascination: How can a lamb with a cross be thrown on a bench?
Guillaume Bruère: Ohne Titel (Agnus Dei), 2007, Verschiedene Materialien; 33 × 67 × 38 cm, KULTUMdepot Graz, aus: VULGATA. 77 Zugriffe auf die Bibel (2017)
In der Karfreitagsliturgie heißt es in der Lesung: „Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, / und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, / so tat auch er seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,7). In einer katholischen Messe ist vor der Kommunion zu hören: „Seht das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt.“ Und in Offb 5,9 vermag allein das Lamm die sieben Siegel (der Weltgeschichte) zu lösen. Guillaume Bruère rüttelt angesichts der Fremdheit dieser Bilder auf und interpretiert die „theriomorphen Figuren“¹ der Christusikonografie, die lange – neben dem Fisch, dem Löwen, dem Phönix oder Pelikan – im Lamm ein zentrales Bild gefunden hat, zeitgenössisch.
Das "Immaculata-Bild" ist nach einem Graz-Besuch im Frühling 2017 entstanden, als der Künstler erstmals seine „Religious Themes“ (G. B.) in einer Ausstellung über "77 Zugriffe auf die Bibel" gezeigt hat. Zeitgleich erlebte der Künstler eine intensive Malphase, in der er sich Themen christlicher Ikonografie, besonders den Kreuzigungsdarstellungen widmete.
The reading of the Good Friday liturgy says: “Like a lamb led to slaughter / and like a sheep in the face of its clippers, / so he did not open his mouth either” (Isa. 53: 7). In a Catholic mass before communion one can hear: “See the Lamb of God, that takes away the sin of the world.” And in Rev 5: 9 only the Lamb can loosen the seven seals (of world history). Guillaume Bruère shakes up the strangeness of these images and interprets the “theriomorphic figures” ¹ of the iconography of Christ, which for a long time - alongside the fish, the lion, the phoenix or the pelican - found a central image in the lamb, contemporary.
The "Immaculata picture" was created after a visit to Graz in spring 2017, when the artist showed his "Religious Themes" (G. B.) for the first time in an exhibition on "77 Hits on the Bible". At the same time, the artist experienced an intensive painting phase, in which he devoted himself to topics of Christian iconography, especially depictions of the crucifixion.
In dieser Serie entstand 06.03.2017 (Immaculata). Eine krakelige, zerbrechliche weiße Figur, die ihre abgewinkelten Hände hebt, steht vor einem blutroten Malgrund, auf dem die Inschrift „Ô Marie, conçue sans péché, priez pour nous qui avons recours à vous“ („O Maria, ohne Sünde empfangen, bitte für uns, die wir zu dir unsere Zuflucht nehmen“) eingeritzt ist. Dadurch wird die Figur erst als Madonna lesbar. Vorbild war die winzige Madonnendarstellung in einer „Wundertätigen Medaille“, die in großer Anzahl weltweit verbreitet ist und die eine Grazer Marienschwester dem Künstler schenkte. Von dieser Darstellung, die in einer Reihe mit der „gipsernen Reinheit“ dieses Madonnentyps steht, ist bei Bruère nichts mehr übrig geblieben. Vielmehr ruft der Künstler eine Ahnung von der Verletzlichkeit einer Figur auf, die zur Projektionsfläche für Unschuld wird. Bruères Bild zeigt den millionenfach reproduzierten „Unschuldskörper“ der Madonna verletzlich wie auch im bildlichen Sinne „nackt“.
This series was created on March 6th, 2017 (Immaculata). A scraggy, fragile white figure, raising her bent hands, stands in front of a blood-red painting surface on which the inscription “Ô Marie, conçue sans péché, priez pour nous qui avons recours à vous” (“O Mary, receive without sin, please for us who take refuge in you ”) is carved. This means that the figure can only be read as a Madonna. The model was the tiny depiction of the Madonna in a “miraculous medal”, which is distributed in large numbers worldwide and which a Graz Sister of Mary gave to the artist. There is nothing left of this depiction, which is in line with the “plastered purity” of this type of Madonna. Rather, the artist evokes an inkling of the vulnerability of a figure who becomes a projection screen for innocence. Bruère's picture shows the "innocent body" of the Madonna, which has been reproduced a million times, both vulnerable and in the figurative sense "naked".
Großformatige Kreuzigungen (200x150cm, Ölkreide und Acryl auf Leinwand) von Guillaume Bruère, entstanden 2017, bilden ein Zentrum der Ausstellung zur Fasten- und Osterzeit im KULTUM.
Large-format crucifixions (200x150cm, oil and acryl on canvas) by Guillaume Bruère, created in 2017, form a center of the exhibition on Lent and Easter at KULTUM.
Ähnlich dramatisch sind auch die in dieser Zeit neu entstandenen Kreuzigungen. Von ihnen gilt im Besonderen das, was der Künstler über seine Schaffensprozesse an anderer Stelle so formulierte: „[...] sie sind auch ein Liebesakt.“ „Come, give me a hug“ (04.04.2017) steht etwa als Aufforderung zwischen den Assistenzfiguren des Kreuzes, die unverkennbar Adam und Eva sind. Beide sind sie mit Herzen gekennzeichnet, Eva kniet auf der Schlange. Eine Aufforderung zur Umarmung, zur Liebe, beide nackt, es ist Zeit, jetzt, unter dem Kreuz, sich wieder an das Paradies zu erinnern! Denn auch dem Kreuz geschieht längst die Liebe: Weiß, rosa, rot sind die angedeuteten Figuren für diesen buchstäblichen Liebesakt. Maria Magdalena, seine Mutter, die Liebe an sich – man weiß es nicht, durch wen diese Liebe geschieht: „Frau, siehe da dein Sohn“, „Sohn, siehe da deine Mutter“ (Joh 19,27). Herzen auch hier, am Herzen und an der Hand des Gekreuzigten, aber auch am Unterleib der Frau. (14.03.2017): „O Maria, die wir zu dir unsere Zuflucht nehmen, bitte für uns Sünder!“, steht am Bildhintergrund eingraviert („O Mary, conceived without sin, pray for us who have recourse to thee“)
Aus dieser ekstatischen Schaffensperiode über religiöse Themen stammt auch das großformatige Kreuzigungsbild. „GOTT WO BIST ICH?“ (03.04.2017) – die kosmische Dramatik der Kreuzigungsszene mit dem verdunkelten Himmel wird zum Schrei des „Eli, Eli, lema sabachthani“ (Mt 27,46): „Gott, verpiss dich!“ Oder zur Frage-Antwort, die im letzten Moment das „Du“ („GOTT WO BIST DU“) zum „Ich“ dreht: In dieser Verlassenheit hat der Künstler noch ein Herz angebracht.
The crucifixions that emerged during this period are just as dramatic. What the artist formulated elsewhere about his creative processes applies in particular to them: “[...] they are also an act of love.” “Come, give me a hug” (04/04/2017) stands between, for example, as an invitation the assistant figures of the cross, who are unmistakably Adam and Eve. They are both marked with hearts, Eva kneels on the snake. An invitation to embrace, to love, both naked, it is time, now, under the cross, to remember paradise again! Because love has long been happening to the cross: white, pink, red are the indicated figures for this literal act of love. Mary Magdalene, his mother, love in itself - one does not know through whom this love comes about: “Woman, behold your son”, “Son, behold your mother” (Jn 19:27). Hearts here too, on the heart and on the hand of the crucified, but also on the abdomen of the woman. (14.03.2017): "O Mary, who we take refuge in you, please for us sinners!" Is engraved on the background ("O Mary, conceived without sin, pray for us who have recourse to thee") The large-format crucifixion picture also comes from this ecstatic creative period on religious topics. “GOD WHERE ARE I?” (04/03/2017) - the cosmic drama of the crucifixion scene with the darkened sky becomes the cry of “Eli, Eli, lema sabachthani” (Mt 27:46): “God, piss off!” Question-answer that turns the “you” (“GOD WHERE ARE YOU”) to the “I” at the last moment: In this abandonment the artist has attached a heart.

Guillaume Bruère: 3.4.2017, Ölkreide und Acryl auf Leinwand; 300 ×200 cm, Courtesy of the Artist
Am Ende bleibt ein Kreuz der Umarmung, auf dem statt dem Kreuztitulus I.N.R.I. ein großes Herz angebracht ist (17.03.2017), oder ein rosa Kreuz, aus dessen Enden Hände und Füße ragen, mit Wundmalen versehen (10.03.2017). Und ein großes Herz. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat“, Joh 3,16.
All diese ungeheuerlichen Sätze der Bibel, die wir in der Unverstelltheit üblicherweise höchstens an Bachs Passionen noch gelten lassen, sind in den Bildern Guillaume Bruères enthalten, Sätze, die nicht nachgeordnete Interpretationsmuster von Theologen sind, sondern sich in einer malerischen Existenz anno 2017 buchstäblich bemächtigt haben: „Ich habe noch nie so viel gemalt“, gab der Künstler nach jenen Wochen der Entstehung dieser Bilder zu Protokoll. Sie waren in einer Art von malerischem Rausch entstanden. Bruère ist ein äußerst zerbrechlich wirkender Künstler, dem die Formen und Linien in seinen Werken förmlich zu entrinnen scheinen; in einem Bild einer Selbstportraitserie aus dem Jahr 2017 ist der Verteilungspegel seiner Persönlichkeitsanteile so festgehalten: 74% shy, 1% stupid, 9,8% in, 7% afraid, 7% enthusiastic, 12% agreeable. Und in einem anderen macht er die Hochzeit mit Dürer oder van Gogh öffentlich („I MARRIED DÜRER OR VINCENT“). Diesen Bildern hängt jedenfalls kein vordergründig provozierender, noch weniger ein blasphemischer Gestus an. Wohl aber setzen sie das Kreuz unter die Dramatik jener theologisch so gravitätischen Worte wie die Offenbarung göttlicher Liebe.
At the end there is a cross of embrace, on which instead of the cross title I.N.R.I. a large heart is attached (03/17/2017), or a pink cross with wounds sticking out of the ends of hands and feet (03/10/2017). And a big heart. “For God loved the world so much that he gave his only Son so that whoever believes in him should not perish but have eternal life”, Jn 3:16. All these monstrous sentences of the Bible, which we usually still apply to Bach's Passions in their undisguised form, are contained in Guillaume Bruère's pictures, sentences that are not subordinate interpretations of theologians, but literally took hold in a painterly existence in 2017 : "I have never painted so much", the artist stated after those weeks in which these pictures were created. They had emerged in a kind of picturesque frenzy. Bruère is an extremely fragile artist, from whom the shapes and lines in his works seem to literally escape; In a picture from a self-portrait series from 2017, the distribution level of his personality components is recorded as follows: 74% shy, 1% stupid, 9.8% in, 7% afraid, 7% enthusiastic, 12% agreeable. And in another he makes the wedding with Dürer or van Gogh public (“I MARRIED DÜRER OR VINCENT”). In any case, there is no ostensibly provocative, even less blasphemous gesture attached to these images. But they do place the cross under the drama of those theologically grave words such as the revelation of divine love.
„Ich lerne malen“: Alte und neue Meister
Anders als die oft in expressivem, schnellem Gestus gemalten Bilder der früheren Jahre sind die jüngsten Bilder, die während der Corona-Pandemie im Jahre 2020 entstanden sind, länger andauernde malerische Auseinandersetzungen mit Vorbildern wie Piero della Francesca, Giorgione, Dürer, Altdorfer, Caravaggio oder Rembrandt.
„Ich lerne malen“, sagt Guillaume Bruère dazu lakonisch dem Autor, als er die ersten dieser Bilder in der anschwellenden zweiten Welle der Corona-Pandemie in Berlin sieht. Es ist freilich „Kräftemessen“ mit den „Alten Meistern“ wie etwa bei den Präraffaeliten oder den Nazarenern“. Und „Schönheit“ eröffnet bei Bruère auch noch einmal einen ganz anderen Kosmos. Raffael und die italienischen Renaissance-Künstler sind eigentlich kein Vorbild für ihn, zu schön und vollendet sind deren Körper. Zunächst ist für diese neue Phase festzuhalten: Guillaume Bruère gleicht seine malerischen Vorbilder in seinem Atelier auf das gleiche Format an: 200x150 cm.
“I'm learning to paint”: Old and New Masters
Unlike the pictures of earlier years, often painted in expressive, quick gestures, the most recent pictures that were created during the corona pandemic in 2020 are long-lasting painterly confrontations with models such as Piero della Francesca, Giorgione, Dürer, Altdorfer, Caravaggio or Rembrandt. "I'm learning to paint," says Guillaume Bruère laconically to the author when he sees the first of these pictures in the swelling second wave of the corona pandemic in Berlin. It is of course a "test of strength" with the "old masters" such as the Pre-Raphaelites or the Nazarenes ". And at Bruère, “beauty” opens up a completely different cosmos. Raphael and the Italian Renaissance artists are actually no role models for him, their bodies are too beautiful and perfect. First of all, it should be noted for this new phase: Guillaume Bruère adjusts his painterly models in his studio to the same format: 200x150 cm.
Die ursprünglich ziemlich kleine „Hieronymus“-Tafel aus der Berliner Gemäldegalerie etwa, die den büßenden Hieronymus vor der Felsgrotte zeigt – hinter ihm eine blühende Landschaft – wurde so gleich drei Mal im selben Format ausgeführt (21.11.2020; 16.01.2021; 20.01.2021). Nichts mehr scheint hier von jenem Gestus von früher vorhanden zu sein, dass jedes Bild vollkommen anders aussehen würde.
The originally rather small "Hieronymus" panel from the Berlin Gemäldegalerie, for example, which shows the penitent Hieronymus in front of the rock grotto - behind him a blooming landscape - was executed three times in the same format (21.11.2020; 16.01.2021; 20.01. 2021). Nothing seems to be present here of that gesture from earlier that every picture would look completely different.
Acryl auf Leinwand, 195x145 cm, after Piero della Francesca: The Penance of St Jerome. Painted in Berlin. Courtesy of the Artist
Nein, es ist eine beinah selbstironisch zu nennende Errungenschaft eines „Kopisten“, nachdem dieser sich so die Jahre zuvor viele Ausritte mit seinen Alten Meistern erlaubt hatte. Man ist geneigt, eine gewisse Ruhe und Form zu konstatieren. Freilich, der Weg dahin ist von heftigen Eruptionen begleitet: Eine Serie von Kreuzigungen nach dem Sebastianaltar von Albrecht Altdorfer (1510) aus dem Augustiner-Chorherrenstift Sankt Florian bei Linz ist alles andere als gefasst. Hoch gestisch, der Wiedererkennbarkeit völlig abhold, ist hier der Gekreuzigte aufgefasst, ein einziges Farbknäuel. Die Assistenzfiguren Maria und Johannes sind ein einziger Pinselschwung (14.05.2020; 15.05.2020; 21.05.2020).
Den nächsten Schritt zur neuen Phase Guillaume Bruères markiert der Heilige Hieronymus von Albrecht Dürer (15.07.2020).
No, it is an almost self-ironic achievement of a "copyist" after he had allowed himself many rides with his old masters over the years. One is inclined to notice a certain calm and form. Admittedly, the way there is accompanied by violent eruptions: a series of crucifixions based on the Sebastian Altar by Albrecht Altdorfer (1510) from the Augustinian Canons of St. Florian near Linz is anything but composed. Highly gestural, completely averse to recognizability, the crucified is conceived here, a single ball of color. The assistant figures Maria and Johannes are a single brush stroke (May 14, 2020; May 15, 2020; May 21, 2020). The next step in Guillaume Bruères' new phase is marked by Saint Jerome by Albrecht Dürer (July 15, 2020).
Der Kirchenvater, Übersetzer der Bibel ins volkstümliche Latein („Vulgata“), ursprünglich ein Spross aus reichem Hause, hat sich nach einer adoleszenten Sinnkrise in die Wüste begeben, es dort allerdings nicht lange ausgehalten. Er wird Theologe, Gelehrter; Kardinal – und geht schließlich ein zweites Mal in die Wüste, dieses Mal in die Wüste Judas, wo er die Bibel übersetzt und er einen Löwen zähmt, der fortan bei ihm bleiben wird. Den Kardinalshut legt er auf die Erde, er sinniert über die Vergänglichkeit, der Totenschädel ist sein treuer Begleiter auf seinem Schreibtisch. Er betet nur mehr in Richtung des Kruzifixes, ob in der Nähe seines Schreibtisches oder auch in einer Felsnische. So wollen es zumindest die Künstler gewusst haben, die diesen Heiligen in der Renaissance-Zeit besonders oft malen sollten: Dafür gab es damals reichlich Absatz. Der erste, von Guillaume Bruère gemalte Hieronymus nach Dürer ist noch weit entfernt von der späteren Beruhigung. Der Pinselstrich ist erneut eruptiv und zitternd. Was man vielleicht noch erkennt, sind Totenschädel und das Kreuz an der Wand. Der lang gelockte, im Lichte weiß glänzende Bart des Originals, das sich in Lissabon befindet, wird erneut zum Farbgekritzel. Doch drei Monate später ist es anders: Nun ist es Caravaggio, der ihm mit diesem Motiv zur Seite steht (15.10.2020).
The church father, translator of the Bible into popular Latin ("Vulgate"), originally a scion from a wealthy family, went to the desert after an adolescent crisis of meaning, but did not last long there. He becomes a theologian, a scholar; Cardinal - and finally goes into the desert a second time, this time into the Judean desert, where he translates the Bible and tames a lion that will stay with him from now on. He lays the cardinal's hat on the ground, he ponders transience, the skull is his faithful companion on his desk. He only prays in the direction of the crucifix, whether near his desk or in a rock niche. At least that is what the artists who were supposed to paint this saint particularly often in the Renaissance period want to have known: there was plenty of sales for this at the time. The first Hieronymus after Dürer, painted by Guillaume Bruère, is still a long way from being reassured later. The brushstroke is eruptive and trembling again. What you might still recognize are skulls and the cross on the wall. The long, curly beard of the original, which is located in Lisbon, shines white in the light, becomes a scribble of colors again. But three months later it is different: Now it is Caravaggio who is at his side with this motif (October 15, 2020).
Guillaume Bruère: 15.10.2020, after Caravaggio Saint Jerome writing, painted in Berlin, Acryl auf Leinwand; 150 x 200 cm, Courtesy of the Artist
Kein weiser Alter mit langem Bart wie bei Dürer blickt uns an, vielmehr ein mit einem roten Fetzen bekleideter Knochenmann, der mit seiner langen Hand zu Bibel und Totenschädel greift, blickt aus dem Bild nach links hinaus. Im Original blickt der „Heilige Hieronymus als Schriftgelehrter“ in sein Buch vor ihm hinein und schreibt auf dem anderen, also von der Septuaginta lesend, in die Vulgata schreibend. Caravaggio hatte diese freilich so inszeniert, als ob der Totenschädel diese direkt fräse. Und die Lichtpunkte der beiden Schädel sind beinahe gleich.
So ist es auch nur ein kleiner Schritt zu einem der wohl bekanntesten Werke Caravaggios, der Grablegung Christi aus dem Vatikanischen Museum (30.9.2020). Dieses Mal ist es keine Vergrößerung, sondern eine Verkleinerung des Originals. Was dieses Bild zusätzlich auszeichnet: Es ist nicht nur von der Vorder-, sondern auch von der Rückseite zu besichtigen. Der Künstler hat auf die Leinwand ohne Grundierung gemalt. So bleibt sie auch in einer gewissen Weise lichtdurchlässig. Jedenfalls aber entstand auf der Rückseite ein ornamentaler Farbteppich, der wiederum eine zeitgenössische Reflexion auf die Bedingung von Malerei überhaupt geworden ist.
No wise old man with a long beard, like Dürer's, looks at us, rather a boned man clad in a red rag, who reaches for the Bible and skull with his long hand, looks out of the picture to the left. In the original, “Saint Jerome as a scribe” looks into his book in front of him and writes on the other, reading from the Septuagint and writing in the Vulgate. Of course, Caravaggio had staged it as if the skull were milling it directly. And the points of light on the two skulls are almost the same. So it is only a small step to one of Caravaggio's most famous works, the Entombment of Christ from the Vatican Museum (September 30, 2020). This time it's not an enlargement, but a reduction of the original. What also distinguishes this picture: It can be viewed not only from the front, but also from the back. The artist painted on the canvas without a primer. So it also remains translucent in a certain way. In any case, an ornamental color carpet was created on the back, which in turn has become a contemporary reflection on the condition of painting in general.
Plakatmotiv: Guillaume Bruère, 30.9.2020, Acryl auf Leinwand, 195x145 cm, after Caravaggio "The Entombment of Christ", painted in Berlin, Courtesy of the Artist
Bruère zählt wohl zu den eindrucksvollsten Künstlern der Gegenwart, denen Bilder Alter Meister und ihrer biblischen Themen zu evokativen Gesprächspartnern geworden sind, zu denen man sich nicht anders als eigenständig kreativ verhalten muss.
Bruère is probably one of the most impressive contemporary artists, for whom pictures of Old Masters and their biblical themes have become evocative interlocutors, to whom one does not have to behave otherwise than independently creatively.
Johannes Rauchenberger