language crosses borders: Tage der afrikanischen Literaturen
Der Begriff der Grenze umfasst eine Vielzahl von Bedeutungen. Die Dimensionen dieses Begriffes reichen von physischgeographischen Grenzen, die Staaten und Regionen definieren, über psychisch mentale Grenzen, die die eigenen Handlungsmacht einschränken. Gesetze wiederum umfassen eine andere Dimension des Begriffs, sie be-„grenzen“ die Handlungsspielräume und individuelle Freiheit der ihnen unterworfenen Menschen. Auf politischer Ebene sind außerdem gesellschaftliche Grenzziehungen häufig, welche die Welt in „wir“ und „die Anderen“ einteilen.
Trotz ihrer Multidimensionalität wirken Grenzen oft unverrückbar und quasi naturgegeben. Betrachtet man jedoch die historischen Gegebenheiten wird der Konstruktcharakter der (geographischen) Grenzen deutlich. Die Grenzen des afrikanischen Kontinentes eignen sich hervorragend, um dies zu verdeutlichen. Während die historische, willkürliche Grenzziehung der Kolonialmächte die Lebensrealitäten vor Ort vernachlässigte und lokale Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen ignorierte, werden die heutigen europäischen Grenzen militarisiert und gesichert, unter anderem auch in Afrika. Dies steht emblematisch für neokoloniale Kontinuitäten und Herrschaftsmechanismen, die sich sowohl in Grenzziehung als auch Sprachpolitik widerspiegeln und keinesfalls nur die Vergangenheit prägten. Zeigt man diese vielfältigen Dimensionen und Auswirkungen von Grenzen auf, stellt sich die Frage, inwiefern diese Grenzen überwunden werden können, seien es nun geographische Demarkationslinien oder mentale und diskursive Grenzen.
Literatur sowie Sprache als Medium der zwischenmenschlichen Kommunikation stellt hierfür ein starkes Werkzeug dar. Sprache als Überwindung von Grenzen – „language crosses borders“ – stellt hiermit auch den Titel der diesjährigen Ausgabe des Literaturfestivals dar. Sprache ermöglicht und unterbindet zwischenmenschliche Kommunikation sowohl innerhalb von Grenzen als auch darüber hinaus. Dass das Wort „Grenze“ seine etymologische Wurzel im Altpolnischen bzw. Altslawischen Wort „granica“ hat und somit selbst nicht den althochdeutschen Wurzeln der heutigen deutschen Sprache entspringt, sondern ein Lehnwort ist, steht emblematisch für das ambivalente Spannungsfeld von Sprache und Grenzen. Eine literarische Annäherung an dieses Spannungsfeld durch afrikanische Literaturschaffende ist besonders interessant. Erstens weil die Sprachvielfalt des afrikanischen Kontinents einen völligen anderen Zugang zu Sprache und sprachlichen Grenzen bietet als in Europa. Zweitens ist die Sprache in den afrikanischen Literaturen insbesondere seit dem Kolonialismus und der späteren Unabhängigkeit ein stark umkämpftes Thema. Schließlich entscheidet die Sprache, wem Zugang zum Geschriebenen gewährt wird beziehungsweise wem der Zugang möglicherweise verwehrt bleibt und zieht damit neue Grenzen. Auch deshalb war dieser Aspekt ein Kernpunkt bei der historischen African Writers Conference 1962 in Kampala. Sprache kann somit nicht nur Grenzen schaffen sondern beinhaltet auch eine grenzüberwindende Funktion. Afrikanisch-diasporische Literat*innen haben häufig eine besondere Beziehung zu Grenzen und Sprache. Die diasporische Erfahrung bringt oft ein eigenes Verständnis von der grenzziehenden wie auch grenzüberwindenden Kraft von Sprache mit sich. Die diesjährige Ausgabe der Tage der afrikanischen Literaturen soll verschiedene Perspektiven auf Sprache als Grenze aber auch als grenzüberschreitendes Medium der Verbindung liefern.
Eröffnung:
Am Freitagabend werden die Tage der Afrikanischen Literaturen durch eine kurze Rede des diesjährigen Kurators Abdelaziz Baraka Sakin (Stadtschreiber Graz 2022/23) eröffnet.
Anschließend wird es Lesungen von Wilfried N‘Sondé und Mihret Kebede geben, welche im folgenden Abschnitt vorgestellt werden. Im Anschluss wird es einen gemütlichen Ausklang der Veranstaltung bei Sekt und Buffet geben.
Moderiert wird die Veranstaltung wie schon im letzten Jahr von Prof. Rémi Tchokothe.
Die Lesung der deutschsprachigen Texte erfolgt durch Ninja Reichert.
Workshop
Weiterhin wird es am Samstag, den 06. Mai 2023 einen Schreibworkshop mit der preisgekrönten sudanesische Autorin Leila Aboulela geben. Der Workshop im KULTUM findet auf Englisch statt und steht unter dem Motto „Connecting to the Sources of our Creativity“.
Ken Bugul
Die Schriftstellerin Mariétou Mbaye Biléoma, die unter dem Pseudonym „Ken Bugul“ bekannt ist, gilt als Grande Dame der senegalesischen Literatur. Ihr Künstlername bedeutet auf Wolof so viel wie „die Unerwünschte“. Ihr Roman „Riwan oder der Sandweg“ wurde zu einem der hundert bedeutsamsten afrikanischen Bücher des 20. Jahrhunderts gewählt und mit dem wichtigsten afrikanischen Literaturpreis „Grand Prix Littéraire de l’Afrique Noire“ ausgezeichnet.
In ihren Romanen erzählt die 76-Jährige teilweise autobiographisch von ihrer bewegten Geschichte zwischen Europa und Afrika. Durch ihr hochgelobtes und literarisch anspruchsvolles Schreiben überträgt sie dabei ihre Gedanken, aus ihrer Muttersprache Wolof ins Französische: „Was Ihr auf französisch in meinen Romanen lest, ist die Art, wie man in meinem Dorf in unserer Sprache Wolof denkt und spricht.“
Stella Gaitano
Stella Gaitano wurde 1979 in Khartoum geboren und lebt seit 2022 als Stipendiatin des Writers in Exile Programmes in Deutschland. Als Vertriebene des Bürgerkrieges im Südsudan hat sie direkte Erfahrungen mit der Fluidität und Veränderlichkeit von Grenzen gemacht. Ihre Texte thematisieren die Schicksale der sudanesischen und südsudanischen Bevölkerung und wurden im ersten Verlag des Südsudans verlegt. In ihrem neuesten Buch „Eddo´s Soul“ erkundet sie Themen wie Identität, Liebe, Verlust und Trauer im Kontext des Krieges im Südsudan.
Mihret Kebede
Mihret Kebede ist Doktorandin an der Universität der bildenden Künste in Wien. Für ihre Arbeit wurde sie 2013 als beste praktizierende Künstlerin von dem äthiopischen Ministerium für Kunst und Tourismus ausgezeichnet. In ihren Kunstprojekten, wie dem Slow Marathon behandelt sie das grenzüberschreitende Zusammenkommen von Menschen in Schottland und Äthiopien. In ihren Werken sowie in ihrer Dissertation erforscht sie nicht nur Sprache, sondern thematisiert auch die Aussagkraft und Symbolik des Schweigens als Widerstand gegen Unterdrückung.
Wilfried N’Sondé
Wilfried N’Sondé wurde 1968 in Brazzaville geboren. Er wuchs im Großraum Paris auf, studierte an der Sorbonne Politikwissenschaften und lebte 25 Jahre lang als Autor, Musiker und Komponist in Berlin. Abgesehen von seiner persönlichen Biographie, hat sich der Autor und Musiker auch in seinen künstlerischen Werken ausführlich mit den Themen Zugehörigkeit, Grenzen und Migration beschäftigt. Gemeinsam mit dem Fotographen Jean-Michel André veröffentlichte er das Buch „Borders“, dass den Dschungel von Calais zum Ausgangspunkt nimmt und dem Weg von Geflüchteten folgt und dabei Geschichten des Exils, der Irrfahrt, aber auch der Hoffnung und des Widerstands erzählt. In dem Werk wird nicht nur die Beziehung zum „Anderen“ in Frage gestellt, sondern gleichzeitig auch die Sinnhaftigkeit der realen und imaginären Grenzen hinterfragt.
Leila Aboulela
Leila Aboulela wurde 1964 in Kairo als Tochter einer ägyptischen Mutter und eines sudanesischen Vaters geboren und ist die erste Gewinnerin des „Caine-Prize for African Writing“. Trotz der Gemeinsamkeiten wie des muslimischen Glaubens, der arabischen Sprache und der Zugehörigkeit zum afrikanischen Kontinent war ihr Aufwachsen von zahlreichen Grenzen geprägt. Diese Erfahrungen, die Identität und Zugehörigkeit in Frage stellen, verarbeitet sie in ihren Romanen. Ihre Figuren können im „Anderswo“ nicht zu Hause sein, aber die „Heimat“ ihres Herkunftslandes kommt ihnen aufgrund ihrer Migrationserfahrungen ebenso fremd vor. Aboulela veröffentlichte fünf Romane, zwei Erzählungsbände und Hörspiele. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in fünfzehn Sprachen übersetzt.
Precious Chiebonam Nnebedum
Die gebürtige Nigerianerin und studierte Pflegewissenschaftlerin Precious Chiebonam Nnebedum wuchs seit ihrem elften Lebensjahr in Graz auf und lebt mittlerweile in Wien. Sie ist engagierte Aktivistin der Black Lives Matter Proteste und hat außerdem den Verein Tanaka mitbegründet, der das Empowerment von People of Colour zum Ziel hat. Nachdem sie sich in den letzten Jahren einen Namen als Spoken Word Artist gemacht hatte, erschien im letzten Jahr ihr erster Gedichtband mit dem Namen „birthmarks“. Ihre Gedichte und Performances erzählen von ihrem Leben als Schwarze, christliche Frau in einer weißen Mehrheitsgesellschaft. Außerdem sind ihre Erfahrungen des Aufwachsens zwischen Österreich und Nigeria in den Gedichten wiederzufinden. Dies wird insbesondere an der Auswahl ihrer sprachlichen Mittel deutlich. Sie schreibt und performt sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch und lässt durch die Verwendung von Igbo-Elementen sowie D-Englisch sprachliche Grenzen verschwimmen.
Kurator Abdelaziz Baraka Sakin