Doppelte Gäste: Thomas Ballhausen und Ferdinand Schmatz
Das Verhängnis soll dein einziges Gesetz der Ausdeutung sein, das ist die wahre, erklärende Ordnung der Welt: Verkomplizierung und Bruch führen beim Kulturphilosophen und Autor Thomas Ballhausen, einem meisterhaften Tüftler an der Wirklichkeit, geradewegs in ein wahrnehmendes Delirium. (Ich greife zu 500 mg Orpheus forte!) Wie sonst könnten wir leben in dieser Unzugänglichkeit? Die Jetztzeit wird in Ballhausens neuem Lyrikband nicht nur besichtigt, sondern mindestens ebenso auch bezichtigt, eines Besseren belehrt, wenngleich eines nicht leicht Einsehbaren, gar Schwerverständlichen. Man muss genau lesen, nicht wanken, nicht zaudern, wenn man Ballhausens Gedichte liest: Wer wen versteht? Ich das Gedicht? Oder das Gedicht mich? Man soll sie lesen und mehrmals überschlafen, sich eine Schlafzeit gönnen für ein „Welt(t)raumverständnis“, das diese Gedichte verschenken. Man staunt angesichts dieses lunazentrischen Weltbilds.
Der zweite Gast ist Ballhausens einstiger Lehrer
Ferdinand Schmatz, der ihn „im besten Sinne geprägt, beflügelt und immer auch herausgefordert hat – zu neuen Gedanken, zu nächsten Schritten, zu dem wichtigen Blick über die vermeintlichen Grenzen; er hat mich da immer gefördert und gefordert, das ist selten und wertvoll“.
Ferdinand Schmatz' Literatur, die auch aus europäischer Perspektive zu den spannendsten „avantgardistischen“ Österreichs zählt, steht in Traditionen von Literaturgeschichte, die Schmatz zu transzendieren vermag, ohne sie einfach nur zu reproduzieren. Sein jüngst erschienener Gedichtband „STRAND DER VERSE LAUF. Gedicht“ (Haymon, 2022) ist ein sinnliches Langdicht, in dem der Dichter die Trias Sand, Wasser, Licht zelebriert und ein Sprachhochamt feiert zu Ehren der Vergänglichkeit, einem existenziellen Schwebezustand zwischen Barfüßigkeit und Barmherzigkeit. Die Augenweide Wasser, diese soghaften, tänzelnden Wellen (mit dem auge der wellen versuch ich zu sehen), die Muttersprache Sand, und die letzte Seite Licht als Proviant für ein Schreiben als tiefgreifendes Exerzitium. Ein permanentes Schreibtreiben zwischen Finden und Verlust, zwischen Heiterkeit und Trotz führt in eine gewaltige Bejahung des Offenen.
Barbara Rauchenberger