Doppelte Gäste: Kathrin Schmidt und Birgit Kreipe
Zustimmung erforderlich!Bitte akzeptieren Sie Cookies von Youtube und laden Sie die Seite neu, um diesen Inhalt sehen zu können.
Mitschnitt der Lesungen von Kathrin Schmidt und Birgit Kreipe im KULTUM. Einführung: Barbara Rauchenberger
Willkommen im Abschied!
Zu Kathrin Schmidts Gedichtband „sommerschaums ernte“
Ich will nicht verheimlichen, dass ich in Kathrin Schmidts Sommernäpfchen getreten bin und Schaum gerochen habe. Vielleicht waren es ihre sprachlichen Neu(er)schöpfungen, ihre phonetischen Beglückungen, ihr mal grimmiger, mal tänzelnder Sound; oder der autobiographische Gestus, der ihre Gedichte bestimmt, aber auch das oft hocherotische Gemisch aus Blut und Milch, Schweiß und Tränen, oder die sumpfigen Familienfelder und die stetig wiederkehrende Wortwolllust […], die mich „verzuckert“ haben.
Kathrin Schmidt hat bisher fünf Romane publiziert, darunter den sehr erfolgreichen, autobiographisch grundierten Roman „Du stirbst nicht“, für den sie 2009 den Deutschen Buchpreis erhielt. Dennoch steht die Lyrik von Anfang an im Mittelpunkt ihres Schreibens. Der Band „sommerschaums ernte“, erschienen 2020 bei Kiepenheuer&Witsch, ist ihr nun mehr achter Lyrikband, den sie unter anderem an diesem Abend vorstellen wird.
Es ist ein Band, der vom Älterwerden, von Abschieden und von Vergänglichkeit(en) erzählt. Und es sind Gedichte, die auffallend stark an Maria Lassnigs Körpergefühlsbilder erinnern. Es sind virtuose Sprachmalereien, in deren Zentren schonungslose Selbstbefragungsverse stehen, wobei Kathrin Schmidts Ich- und Du-Darstellungen weder mit lyrischen Stimmungen noch mit Bekenntnissen oder Befindlichkeiten locken, sondern vor allem mit distanzierenden Momenten, in denen Witz, Ironie, Sarkasmus und unermüdliche Erfindungslust aufblitzen.
So sind etwa stark erotisch aufgeladene Gedichte mal realistisch gestaltet, mal komplett abstrakt. Immer aber bauen ihre Gedichte dabei eine unmittelbare emotionale Spannung zwischen innerer und äußerer Welt auf, der man sich als Leser, als Leserin, kaum entziehen kann.
Als kämen ihr die Worte aus dem Bauch. Dort, wo der Nabel mit Blei verstopft wurde, „macht“ sie Gefühle, nicht aber Sinn, wie sie selbst sagt: „Ich vertraue meinem Gefühl und möchte mir eigentlich keine Rechenschaft darüber ablegen, woran ich das festmache […] Da ich nicht davon ausgehe, dass meine Gedichte einem strengen Sinn folgen, sondern ich das, was man jetzt Sinn nennt, oftmals erst hinterher aus dem Gedicht überhaupt herauslesen kann, ist eigentlich die Form für mich während des Schreibens fast das Primäre.“
Ihre Form ist das metaphorische Umschreiben, Verrätseln, Verklausulieren, das Fortschreiben von Assoziationsketten. Sie führt eine Art Geheimsprache, die zugleich ihre Kunstsprache ist. Sie erfindet neue Wörter, stellt neue Verbindungen zwischen ihnen her (frisch gezapfte schwäche), variiert Redensarten (als wir einander noch bis ins verwechseln ähnelten), nimmt den Wörtern einzelne Buchstaben weg oder fügt ihnen neue hinzu. So wird der Sperling zum sperrling, verändert sich zum hilfling und heftling, die Stiefmutter zur tiefmutter.
Unglaublich beeindruckend aber ist der Sonettenkranz „Aschene Quadrille“ am Ende ihres Gedichtbandes, wenn Kathrin Schmidt Gaslaterne auf Gottesferne reimt und man meint, sie hätte den Krieg in der Ukraine vorweggesehen, oder wenn sie Sternenhimmel auf Pinselschimmel reimt und ich daran denke, dass wir uns kaum noch eine Zukunft ausmalen können (oder dürfen) ob der Zerstörung, die wir verursachen und verursacht haben, wobei das allerletzte Terzett dieses Sonetts wohl am schönsten beschreibt, was uns erwartet: Drin hockt vorm Ofen stumm ein Wortentfacher. / Es ist kein Schnitter, ist ein Aschenmacher, / In seinen Augen sammelt sich Begehrnis.
Barbara Rauchenberger
Flieh zu!
Zu Birgit Kreipes Gedichtband „AIRE“
„Wahre Gedichte fliehen“, hat die amerikanische Dichterin Emily Dickinson einmal notiert. Diese Mutmaßung, gleichwohl übermutig wie anmaßend, stand plötzlich im Raum, als ich begonnen hatte, Birgit Kreipes jüngsten und vierten Gedichtband „AIRE“ (erschienen 2021 bei kookbooks, Berlin) zu lesen.
Was für ein Titel! Zu finden in verschiedenen Sprachen, liebäugelt er offen mit so unterschiedlichen Ursprüngen (aus dem Spanischen, Englischen und Französischen) wie „Luft“, „Fluss“ oder „(Spiel)Platz“. Auf diesem luftigen, blauen Boden entstanden Gedichte, die (biografische) Veränderungsprozesse zum Thema haben, seien es Umzüge oder (psychische) Erkrankungen, gesellschaftliche Umbrüche wie die Pandemie, aber auch technische Veränderungen. Was liegt, schwebt (schlägt gar) in der Luft? Was schwimmt, taucht auf und ab, kehrt wieder im Strom, als arbeiteten tausend flügel im wasser?
Die Gedichte durchwandern Lichtungen und Wüstungen der Erfahrung, ikonische Bildschichten, stoßen auf Schamquellen, stellen sich Verlusten, trotzen dem Unbewussten neues Gebiet ab – und setzen auf die Erfahrung erweiternder und transformierender Kraft der Kunst, lese ich im Verlagsprogramm. Kein Wunder, dass die Gemäldegedichte in diesem Band am eindringlichsten wirken, vor allem weil die Annäherung ans Bild nie über eine Art von Bildbeschreibung geschieht. Vielmehr wird der Raum beschrieben, der entsteht, lässt man ein Bild auf sich wirken, ein Raum, in dem (über einen langen Zeitraum hinweg) Eigenes ein- und abfließt. Gleich drei Zyklen hat Birgit Kreipe der Künstlerin Francesca Woodman, die sich 1981 mit gerade 22 Jahren in New York das Leben nahm, gewidmet. Woodmans geisterhaft verstörende Schwarz-Weiß-Fotografien, ihre morbiden, verschwommenen Selbstbildnisse, ihr Spiel mit Anwesenheiten und Abwesenheiten, übersetzt Kreipe in Narrative, in eigene Geschichten, kompakt und in Terzettform gehalten.
Dabei gelingt es ihr immer wieder, ihre psychologische Fachsprache (Birgit Kreipe arbeitet auch als Psychotherapeutin) mit eigenen Findungen so zu verschränken, dass die Verse bisweilen selbst wirken wie skizzen / leicht in die luft geworfen. Die Gedichte hinterlassen so etwas wie einen „festen Hauch“, der uns ins Gesicht weht, der entsteht, weil Birgit Kreipe es schafft, ihren Sprachbildern eine große hypnotische Suggestivität zu verleihen. Wir ahnen, wie dünn die Luft, wie tief der Fluss des Lebens doch in Wahrheit ist.
Das zeigt sich auch in den Gedichten zu Gerhard Richters „Park“-Serie. Wo Richter Fotografien durch Übermalung verwandelt, nutzt Kreipe die abstrakten Bildergebilde, um konkrete Dinge und Wesen zu formen, gottesanbeterinnen etwa oder reste von staubblumen-vögeln. Wie sie aus Richters Farbflächen psychische Landschaften herausarbeitet, ist eine Meisterschaft für sich. In ihren Rhythmen überlagern sich die Unruhe dieser pandemischen Zeit, Traumbilder und sprachliche glutnester zu einem allerorts brennenden mai.
Birgit Kreipes Gedichte haben kaum etwas Erhabenes. Reales, nicht ideales Leben ist der Stoff ihrer Gedichte, den sie derart zu verdichten vermag, dass große, weite Räume entstehen, in die man (noch unwissend) eintreten kann: Flieh zu und gewinne: milch und zucker, milch und zucker/das ist der morgen.
So stieß ich übrigens erst im Laufe meiner Beschäftigung mit den Gedichten von Birgit Kreipe auf ihren frühen, ersten Gedichtband (aus dem Jahr 2010) „wenn ich wind sage, seid ihr weg“ …
Ach, ja: Wahre Gedichte fliehen! (und rufen: Auf Wiedersehen!)
Barbara Rauchenberger