WOHIN UND ÜBERHAUPT - die Autobiografie vom DDR-Autor und evangelischen Pfarrer Hans-Jörg Dost

Zur Autobiografie:
Erzählt wird die Jugend von Johannes Leutscher, Sohn eines Drogistenpaares, im Leipzig der 1950er Jahre. Weil seine Eltern selbstständig Handel betreiben, darf er kein Abitur machen und wechselt daraufhin an kirchliche Schulen in Brandenburg. Auf der Suche nach seinem Lebensweg, nach dem Wohin, gerät er in Konflikt mit staatlichen und auch kirchlichen Strukturen. Schließlich kehrt er Anfang der 1960er Jahre nach Leipzig zurück und beginnt Theologie zu studieren und schreibt bereits früh international beachtete Hörspiele sowie Gedichte und Prosa. Er nimmt regen Anteil am geistigen und künstlerischen Leben der Messestadt, das jenseits von DDR-Doktrinen eine besondere Freiheit sich nahm. Und so wird ihm ein Ziel immer mehr bewusst und bald „ganz und gar und überhaupt“.
Kurzbericht zur Veranstaltung:
Es war ein autobiografischer, zeithistorisch dichter und religionsphilosophisch kluger Abend mit Hans-Jörg Dost, der im Cubus aus seinem Buch "Wohin und überhaupt" las: Als Kind einer "sonstigen Familie" - sprich: als Sohn von Drogeristen und Kapitalistenspross - hat "Johannes Leutscher" (so Dosts nur teilweise autofiktionales Alter Ego) in der DDR die "Karriere eines Bonbonkochers" gedroht.
Doch es kam anders, Dost/Leutscher, der sich selbst nicht als Dissident sieht, sondern der als Kulturmensch (etwa als Hörspielautor, später als Lyriker) "nur ein bisschen Widerspruch" gegen das System gewagt habe, wurde evangelischer Pfarrer, um "für Freiräume zu sorgen", legte als Hilfsmaurer bei offiziell nicht existierenden Kirchenrestaurationen Hand an und zelebrierte auch dann die Gottesdienste in einem Bergbau-Dorf, wenn nur eine Handvoll Menschen anwesend waren, mit Verve und Würde: "Wer kommt, muss bestens bedient sein". Ein Ansatz, der auch in einem völlig gedrehten, liberalkapitalistischen und zunehmend kirchenfernen Gemeinwesen bedenkenswert ist. Die jazzigen musikalischen Interventionen von Norbert Arendt am E-Piano sorgten für zusätzliche assoziative Splitter an diesem dramaturgisch dichten Abend.
Florian Traussnig