Wieviel Anarchie brauchen wir?
Die Krisen und Demokratie-Stresstests unserer Gegenwart regen zum Nachdenken über alternative Gesellschaftsmodelle an. Eines davon ist das Versprechen eines besseren Lebens durch konstruktives Chaos, sprich: durch Anarchie. Was macht das anarchistische Denken aus? Welche anarchistischen Verhaltensmuster tun unserer Lebenskunst gut?
„Geil“. Das fand der heute als Autor tätige Hans Platzgumer, wenn er als antikapitalistischer Performer der Generation X an die Apokalypse und den Zusammenbruch von Strukturen dachte. Von einem breiten aktionistischen Aufbruch ist derzeit wenig zu spüren, auch anarchistisch inspirierte Gesellschaftsentwürfe werden meist nur mehr in überschaubaren intellektuellen oder alternativen Zirkeln diskutiert.
Allen Krisen und Konflikten unserer Tage zum Trotz sind wir heute eingehegt im engen Korsett der Corona-Maßnahmen und der Political Correctness, feiern ein (neo-)biedermeierlicher Habitus und der (freiwillige) Lockdown im Eigenheim fröhliche Urständ. Doch gerade in Krisenzeiten, "wenn quasi alles nichts mehr hilft und alle insgesamt ratlos dastehen – dann taucht der Anarchismus auf", meint der Autor Wolfgang Bortlik. Mit dem „produktiven anarchistischen ‚Stachel‘“ (Olaf Briese) ist stets zu rechnen. Sprießen in unserer Zeit von Pandemie, Klimakrise und Demokratie-Stresstest wieder neue anarchische Gewächse? Wieviel Anarchie brauchen wir als Individuen, als Gesellschaft? Wieviel davon tut uns überhaupt gut?
Zur Einführung wird sich Wolfgang Bortlik in einem Impulsvortrag instruktiv und auch kritisch mit wichtigen Strömungen und Repräsentanten des Anarchismus auseinandersetzen. Dazu wird Hans Platzgumer Passagen aus seinem kommenden Roman Taishô (Arbeitstitel) lesen, der u.a. vom aufmüpfigen Intellektuellen Sakae Ôsugi, der Japan während der demokratischen Periode des Taisho-Kaisers (1912-1926) fast in ein anarchistisches Gemeinwesen umgewandelt hat, erzählt. Die beiden Autoren werden danach mit der gesellschaftspolitisch engagierten Betreuerin im Wohnungs- und Obdachlosenbereich Sonja R. und mit Moderator Florian Traussnig über die Aktualität und Sinnhaftigkeit des anarchistischen Denkens diskutieren.