Der doppelte Gast: "G bedeutet G." | Margret Kreidl und Tom Schulz | Moderation: Barbara Rauchenberger
Sichtlich erfreut, wieder vor Publikum lesen zu können, war Margret Kreidl. Am Freitag, dem 24. September war sie mit ihrem neuem Buch Schlüssel zum Offenen zu Gast im KULTUM[ImCubus] und eröffnete die Reihe Der doppelte Gast.
Tom Schulz folgte – in 'doppelter Gast-Manier‘ – der Einladung Kreidls den literarischen Abend gemeinsam mit ihr zu gestalten. Er las aus seinem Gedichtband REISEWARNUNG FÜR LÄNDER MEERE EISBERGE. Ein Abend mit zahlreichen Zeitbezügen zur Corona-Zeit. Barbara Rauchenberger führte als Kuratorin durch den Abend.
Aus der Einführung von Barbara Rauchenberger:
Herzlich Willkommen zum ersten Literaturabend in diesem Herbst zu einem Auftakt mit doppelten Gästen!
WOBEI: Auf Pauken und Trompeten wird verzichtet, stattdessen wird mit offenen Karten gespielt, auf der Stelle, der Schlüsselstelle werden wir tanzen, ein Tanzschritt, Versende (wie es bei Magret Kreidl einmal heißt) und man wird uns warnen müssen vor dem Hauruck einer Nachteule und die Glocken (werden) schlagen, eine Viertelstunde nach der Zeit (wie es bei Tom Schulz heißt) … und gut möglich, dass wir erfahren, DASS denken schneller geht und immer schneller als Fühlen, DENN da hängen wir fest, wo das Denken sich längst losgerissen hat und weiter fällt, oder steigt oder gar zügig fortzieht ….Wohin? In die Zukunft natürlich. Oder aber es wartet lange im Zielraum, wartet aufs Fühlen. Das Denken ist also der Igel unter den Hasen. Während die Poeten, die Erlebnismenschen noch immer HIER sind, unbeeindruckt von den winkenden Siegern, (WEIL FÜHLEND, WEIL MITFÜHLEND) erfüllt also von etwas, das sie nicht genau benennen können. (So etwas formuliert es die deutsche Schriftstellerin Angela KRAUß)
Und das FÜHLEN, also das erfüllt sein, macht langsam und vor allem macht es GENAU, also drückend, kratzend im ursprünglichen Wortsinn.
Und sowohl Magret Kreidl als auch Tom Schulz sind WIRKLICH GENAU. Ihre Gedichte schauen sich um (sind Draußen, in allen Herrnländern, auf der Straße, im Freien)
und bleiben doch auch im INNEREN. Dann können wir möglicherweise so etwas sagen wie, Gedichte und Gespräche sind WEISEN, wie uns etwas zu verstehen gegeben wird. Und das WIE ist der springende Punkt, wobei das Gedicht, (wie das Gespräch, das seine Hände auf den Tisch legt) ein Bild des Raumes zeichnet, in dem WIR leben, sitzen, schlafen, atmen, heulen…. Aneinander vorbei wie miteinander sprechen, ein RAUM wie es Hans Georg Gadamer formuliert: IN DEM WIR DURCH DIE LIEBE AUFEINANDER AUFMERKSAM WERDEN ODER DURCH DEN TOD AUF UNSERE HINFÄLLIGKEIT ZURÜCKGEWORFEN SIND. Dieser Raum will vor allem wach und mit größter Aufmerksam betreten werden. Der Sinn dieser Räumer ist die Bewegung, die man DORT tut, auch jene auf die man verzichtet, die man also gleichsam unterlässt und manchmal schlichtweg auch über oder untertreibt. Es ist wohl immer eine Bewegung zwischen den unterschiedlichen Bedeutungen. Bei Magret Kreidl ist diese Bewegung tief in den Raum der weißen Seite versenkt, während Tom Schulz bekennt: Ich bin ein Passagier. Ich reise kreuz und quer.
Das heißt die Dichterin greift zum Schlüssel, der Dichter greift zum Koffer. Wobei das Offene, das Freie, das HINAUS oder HINEIN, das FORT, das ZURÜCK, das AUFfliegen und das Abfliegen, das G und das BLEIBE sich auf bezaubernde, wie gekonnte Art und Weise die Waage halten werden….
Über Margret Kreidl
Magret Kreidl am Klappentext ihrer Bücher. Ich lese ihnen vor: MK geboren 1964 in Salzburg, lebt als freie Schriftstellerin in Wien. Theaterstücke, Hörspiele, Prosa, Gedichte. Was nicht im Klappentext steht: Veröffentlicht seit 1986 (meine also zu wissen: SIE wüßte seit langem wie mit DEN SCHLÜSSELN läuten….), ist Lehrbeauftragte am Max Reinhardt Seminar in Wien und erhielt X Preise u. a. 2021 den "Preis der Stadt Wien", die höchste Auszeichnung, die die Stadt Wien im Bereich Literatur vergibt) …
Nun aber wieder zurück zum Klappentext, der wie folgt lautet:
In der Edition Korrespondenzen sind bisher erschienen…….(Liest man die Titel ihrer Bücher (Laute Paare. Mitten ins Herz. Eine Schwalbe falten. Einfache Erklärung. Zitat, Zikade.Zu den Sätzen und der aktuelle Band SCHLÜSSEL ZUM OFFENEN erinnern sie an einen Steckbrief: GESUCHT WIRD DIE SPRACHE!).
ZWAR verkleinert das Wort die Welt, (MACHT ES WO MÖGLICH ZUM SCHLÜSSELOCH) aber ohne ein Wort wäre die Welt nicht ertragbar, nicht begehbar….
Und diese, ihre Sprache, ist eine, wie ich meine, die wie ein Schwamm das lyrische Sprechen aufgesaugt hat. Prall also ist sie diese KREIDLSPRACHE und dennoch ZART (STELLEN SIE SICH EINEN PRALLEN UND DENNOCH ZARTEN SCHWAMM VOR) ….
ALSO SCHWAMM DRÜBER! (Von der Kreidl zur Kreide ist es manchmal ja auch nur ein Katzensprung)
So etwa ist das Kreidl Gedicht im neuen Gedichtband „Schlüssel zum Offenen“ auf dem Sprung und hat sich hierfür in Schale geworfen: ALSO die Schale ist eindeutig und besteht aus sieben Buchstaben und sieben ergibt ein ganzes Gebilde also ein G – E – D – I – C – H – T!, ein AKROSTICHON, eine LEISTE und ist eine LEISTUNG.
Leiste (der Tischler sagt Blende) bietet eine mögliche Ansicht, aber sie blendet nicht. Diese 107 Gedichte, die alle aus sieben Zeilen bestehen, mit den immer gleichen Anfangsbuchstaben, bieten uns die Stirn, als wären sie aus Stirnstoff gewebt. Und doch: Diese Gedichte bieten uns zwar die Stirn zur Ansicht und stehen dennoch den Leisten näher als dem Kopf.
Wie ist das möglich? WEIL sie vielleicht NUR aus 7 Zeilen bestehen, und man meint beim Lesen sie besitzen einen „SO LANGEN UND HELL EREUCHTENDEN REICHTUM“ der für 7 Leben langen könnte.
Gedichte sind Gebilde, keine Bilder, schreibt Magret Kreidl da einmal und auch das GEDICHT ist ein GERÜST DAS ARBEIET, vielleicht ein KREUZ DAS SICH BÜKT, einen BUCKEL macht, da wäre also wieder die Katze…(der schwarze Schlüssel zum Gedicht).
FACT ist, (ALSO Dieser Lyrikband beweist) dass die Regel mitspielt, die Wirklichkeit beweglich zu halten.
Und dieser SPALT, der dadurch entsteht und durch den das KREIDL Gedicht schlüpft (es ist als würde sich etwas in den Schwanz beißen, der Spalt also durch den Spalt sich zum kommenden Spalt machen), führt stets ins WEITE, INS OFFENE, INS LEICHTE, INS FLÜSSIGE. Das ist wohl auch der Grund, dass es kein Geheimnis ist, dass Poesie mittels Begrifflichkeiten nicht gänzlich auflösbar ist. Der Schlüssel des Verstehens ist eine Form von kognitivem Fühlen, eine Symbiose aus Verstand und Empfindung (also eine Igel Hase PAARUNG), die auf ein Gedicht trifft bzw. auf die ein Gedicht trifft. Das Kreidl-Gedicht ist der Schlüssel zum Kreidl-Gedicht. Nun aber SCHLÜSSELÜBERGABE….
Über Tom Schulz
Tom Schulz, geboren 1970 in der Oberlausitz, lebt und arbeitet heute in Berlin als freier Autor, Herausgeber und Dozent für Kreatives Schreiben. Zahlreiche Preise darunter 2014 der Alfred Gruber Preis im Rahmen des Meraner Lyrikpreises. Er übersetzt aus dem spanischen, englischen und niederländischen. Bei Hanser Berlin erschienen zuletzt die Gedichtbände Die Verlegung der Stolpersteine (2017) und 2019 Reisewarnung für Länder, Meere, Eisberge.
Das poetische Areal, auf dem Tom Schulz umherstreift ist weitläufig und seine lyrischen Unternehmungen sind wenig verlässlich, denn er liebt die Flussläufe und das Mäandern mehr als die satten Strände und die Dünen dahinter. Will die Flüsse wie ein Pferd von hinten satteln, also aufwärts schwimmen, kommt also vom Meer in den Fluss. Vom Tausendsten ins Hundertste, also vom Offenen ins VERSTECKTE, ob in Strophen, in Prosa oder in Kurzform, immer geht es Tom Schulz darum den REGELKREIS des DENKES, DES HERKÖMMLICHEN, DES UNVERMEITBAREN, DES SO IST ES EBEN zu unterbrechen, oder wie er es beschreibt „den Kreislauf aus Gier und Fertigteilen“ mittels Sprachmacht zu gefährden….
Will ich den KreidlSchlüssel wieder aufnehmen, so kann ich doch sagen, hier nützt einer den SCHLÜSSEL um das ewige Laufrad der Zerstörung, der Ausbeutung, der Raserei zu sabotieren…. Wobei ich das Wort sabotieren ursprünglich nehmen will, heißt also nicht in der Bedeutung, wie sie um 1920 herum akut wurde im Sinne von VEREITELUNG von wirtschaftlichen, politischen oder militärischen Maßnahmen, sondern aus dem französischen SABOT, was so viel bedeutet wie „mit Holzschuhen, mit dem Huf auftreten“ aber auch mit dem Kreisel spielen, bis einem Schwarz wird vor Augen: Die Ampel steht auf Schwarz, die Regierung steht auf SCHWARZ… (LESE ICH DA)
Und dennoch diese Gedichte sind nicht aus einfachem Holz geschnitzt, da fallen auch geistige Späne, Zeilen wie diese: Ich empöre mich, der Himmel ist blau, nicht schwarz! Und ÖFFNE DIE AUGEN SAGT DAS GEDICHT, ES SPRICHT IMMER VON MEHR ALS DER GEGENWART.
In einer medial überdosierten Gesellschaft versuchen diese Gedichte einer fortschreitenden Kulturverflachung mit dichterischen Mitteln etwas entgegenzusetzen und fordern, dass Kunst einer Haltung bedarf, sei sie moralisch, ethisch oder politisch. ICH HABE VERSE GESCHRIEBEN/DAMIT SICH DIE LÄNDER UND MENSCHEN EMPÖREN/GEGEN DEN HOCHMUT DER VEREINIGTEN BÜRSEN UND KONZERNE.
Diese Gedichte dringen also tief in die Verästelungen der globalisierten Welt vor. WEIL DEIN GEDICHT WIE EIN SCHUSS ODER STICH TREFFEN MUSS. Die Sprache ist klar und genau, sie kommt ohne agitatorische Appelle aus und verstrickt sich nicht in sang- und klangreiche Verse.
Der russisch, US amerikanische Dichter und Nobelpreisträger Joseph Brodsky spricht von Gedichten als eine – „höchst ökonomische Form geistiger Beschleunigung“, denn innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes legt ein gelungenes Gedicht, eine enorme geistige Strecke zurück, hin zu den Refugien, in denen eine Paradiessprache leuchtet und abgabefreie Früchte an Bäumen und Sträuchern wachsen … WOBEI im Falle von REISEWARNUNG ist die gepflückte Erkenntnis allerdings weder gut noch böse, sie ist bitter: Wir sind Blüte, sind Frucht, wir sind Aas heißt es am Ende des ersten Kapitels „Ich bin ein Passagier zwischen den Paradiesen“. Wobei dem Wort Aas, die Wurzel „essen, fressen“ und die Wurzel „Krippe“ zugrunde liegen und wo eine Krippe, da ist eine Wiege nicht weit. Bei der bereits erwähnten Angela Krauß las ich etwa „Eine Wiege ist eine Rede in Versen, die uns daran erinnert, wo wir inmitten rasanter Bewegungen zuhause sind.“ Tom Schulz ein Passagier in der Wiege…..DENKBAR, vor allem aber FÜHLBAR….