Zlatko Kopljar: AUSLÖSCHUNG | ERASION
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Seit seinem Abschluss 1991 an der Abteilung für Malerei der Akademie der Schönen Künste in Venedig hat Zlatko Kopljar eine konsequente, multidisziplinäre Praxis entwickelt, in der er abwechselnd in den Bereichen Skulptur, architektonische Intervention, Performance, Fotografie, Video und experimentelles Kino arbeitet. Dabei bringt er die vertrauten Indizes von Kommunikation nicht selten durcheinander oder lenkt sie um. Kopljars künstlerische Praxis ist durchdrungen von einer grundsätzlichen gesellschaftlichen und institutionellen Kritik mit offenem Ausgang: Sie präsentiert eher Komplexitäten als Anklagen oder Lösungen.
Die Ausstellung im Partnerprogramm des steirischen herbst 24 mit seinem aktuellen Thema „HORROR PATRIAE“ zeigt einen künstlerischen Spannungsbogen aus mehr als drei Jahrzehnten. In immer neuen Anläufen und in unterschiedlichsten Medien bearbeitet Kopljar dabei auch seinen persönlichen „Horror Patriae“, der auch ein allgemeiner und aktueller ist – nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa. Der Künstler weitet aber sein eigenes Trauma von Ex-Jugoslawien und dessen Kriege auf die Traumata des 20. und 21. Jahrhunderts insgesamt aus.
Faschismus, Vernichtung, (Post-)Sozialismus und (Post-)Kapitalismus stehen dabei im Zentrum seiner künstlerischen (Er-)forschung und Transformation. Seine immer wiederkehrende Lebensfrage ist: „Welche Rolle spielt in all diesen Feldern der Künstler?“ Und die Kunst selbst? Selbst wenn er – oder sie – von Grund auf scheitert (K2, K11, K12, K18): Es gibt bei Kopljar eine faszinierende Dialektik, die der Künstler konsequent durchspielt. Was all diese Prozesse und Bilder eint, hat mit dem Ausstellungsthema „Auslöschung“ ein mehrdeutiges Schnittfeld.
„Auslöschung“ wird auch an Kopljars überraschenden Malerei (seit 2022) deutlich, die das erste Mal überhaupt für die Öffentlichkeit zu sehen ist: Zehn „Disturbances“ bilden den Abschluss der Ausstellung im Franziskussaal. Die umfangreiche Schau beginnt im Hof vor dem Minoritensaal mit den Ziegeln eines ehemaligen Konzentrationslagers in Jasenovac, die man für den Hausbau freigegeben hatte (K19). Es spannt den Bogen zum reinszenierten Kniefall Willi Brandts (K15) im Warschauer Ghetto im Kleinen Minoritensaal und führt über den Lift bzw. der Stiege West zum neu adaptierten Ausstellungsflügel im 2. Stock: In den sieben Ausstellungszellen und im Gang ist das Frühwerk mit den dokumentierten Performances und das Spätwerk seiner insgesamt 22 „Konstruktionen“ zu sehen, die sich um Licht und Auslöschung drehen. Auf dem Podest zum Dachboden (das nur mit Ausstellungsbegleitung zu besichtigen ist) liegen leichte Federn und eine große Nadel.
Hof vor dem Minoritensaal: K19 |
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EG: Kleiner Minoritensaal: K15 |
K15, 2012, (Videostill), HD-Video, Dauer: 4‘ 22“K15 ist eine Nachstellung des historischen Kniefalls des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt an der Gedenkstätte der Opfer im früheren Warschauer Ghetto im Jahr 1970. Der Künstler greift auf dokumentarisches Material zurück und rekonstruiert das ikonische Bild als Reenactment: Er selbst spielt in seinem Astralanzug, den er nun zum dritten Mal trägt, den deutschen Kanzler. Die Inszenierung wird in das nächtliche Ambiente des modernen Warschau verlegt, und wir verfolgen die Handlung von der Ankunft des Zuges, dem Aussteigen Brandts aus dem Zug, dem Besuch der Gedenkstätte bis hin zur Kranzniederlegung und dem schweigenden Niederknien des Bundeskanzlers inmitten von Menschenmassen, politischen Würdenträgern und Reportern. |
2 OG Süd – Treppe: Shame |
Shame (Scham), 1996, Fotodokumentation der Raum-Installation, Zigarettenpapier, Installation mit variablen Abmessungen
Die historische Passatacqua-Treppe vor der Jesuitenkirche St. Ignatius in Dubrovnik ist der Boden für eine frühe performative Installation des Künstlers: Er bedeckt sie mit zartem Zigarettenpapier. Ganz in weiß gehüllt ist sie der neue Boden für die Schritte der Darüberlaufenden. Die jahrhundertealte Oberfläche des Untergrunds nimmt viele Generationen mithinein, die hier privat oder öffentlich gegangen sind – in Form von Prozessionen, feierlichem Schreiten (etwa als Hochzeitspaare), herrschaftlichen Gesten oder einfach einem simplen Gehen. Die Fußabdrücke, die nun auf dem Weiß mit seiner symbolischen Anmutung wie Unschuld, Stille, Hochzeit, Ostern sichtbar sind, weckt alle Formen von Verschmutzung. Gleichzeitig ist der Untergrund dabei alsbald gerissen: Auf diese Erfahrung, dass der weiße Boden im Betreten reißt, bezieht sich der Titel Scham. |
2 OG Süd – 1. Ausstellungsraum: Vinculum |
Im ersten Raum des für Ausstellungen wieder neu eingerichteten Südflügels im Minoritenzentrum – bis 2009 war hier das Kulturzentrum bei den Minoriten untergebracht – ist erstmals in der Ausstellung in dieser frühen Arbeit Kopljars eigener Körper zu sehen: Der schwarze (und dann später leuchtend weiße) Anzug wird später zu einem Markenzeichen seiner Performances. Dem schlanken, jungen Mann fehlt freilich der Oberkörper, dafür hat er Antennen an seinen Füßen. Mit Vinculum sind beide Arbeiten betitelt. Bindung oder Fessel? Das lateinische Wort „Vinculum“ bedeutet beides. Das früheste Werk dieser Ausstellung, noch während seines Studiums der Malerei an der Universität der schönen Künste in Venedig entstanden, zeigt mit Object einen minimalistischen Edelstahlquader, der mit Honig übergossen ist: Hermetik und Sinnlichkeit werden Teil seines gesamten Lebenswerks werden. |
2 OG Süd Gang I: Sacrifice of Isaac |
Unmittelbar nach der Vollendung seines Studium begann der Krieg in Kroatien: Zlatko Kopljar erinnert in der frühen Arbeit Sacrifice of Isaac dabei verstörend an das Opfer Abrahams (Gen 22). Religionsgeschichtlich wird die in Genesis 22 geschilderte Szene als das Ende der Menschenopfer für die Gottheit angesehen. Aber ist es dabei geblieben? Warum hat Gott heute – beim Morden und Opfern der eigenen „Söhne“ – nicht eingegriffen wie einst in der Bibel? In Zlatko Kopljars Abrahamsopfer-Bearbeitung geht es schlicht um den Mut, offensichtlich sinnlose Opfer, in welchen Namen auch immer sie gefordert werden, nicht zu vollziehen. Kunsthistorisches Vorbild war das Bild Caravaggios in den Uffizien. Doch dort hält ein Engel den Opfernden ab – bei Kopljar ist es nur der Blick nach Außen zum Betrachter. „Ich glaube nicht an Engel“, sagt der Künstler. „Aber ich glaube an den Mut, an die Courage, es nicht zu tun.“ Zlatko Kopljar, Sacrifice/Opfer, 1993,
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2 OG Süd Gang II: DSASFSI,UE? |
Der Krieg in Kroatien hat gerade begonnen: In Erinnerung an Joseph Beuys‘ Performance von 1970-72 mit dem Titel: DSASFSI,UE? (Dove sarei arrivato se fossi stato intelligente? – Wo wäre ich hingekommen, wenn ich klug geblieben wäre?) stellt sich Zlatko Kopljar in jenen Tagen erneut die Frage. |
2 OG Süd: 2. Ausstellungsraum: K3 |
Mit tiefsitzenden Männlichkeitsritualen beschäftigt sich die Performance K3: Ein grell beleuchtetes, weißes Leinen liegt in der Mitte des Bodens eines dunklen Raums. Zwei lange Holzstücke sind parallel zu den Rändern des Stoffes ausgelegt. Ein verzerrtes Geräusch von Peitschenhieben hallt durch den Raum. Der Rhythmus und das Schnalzen der Peitschenhiebe verlangsamen sich schließlich. In einer der Pausen tritt der Künstler, begleitet von einem Assistenten, aus dem Publikum nach vorne. Beide treten in das Schweinwerferlicht und entblößen ihren Oberkörper. Dann nehmen sie die Stöcke in die Hand und stellen sich für den Schlag auf. Im selben Moment schlagen sie sich gegenseitig mit aller Kraft auf den Rücken. Sie ziehen ihre Kleider wieder an und gehen weg. |
2 OG Süd: 2. Ausstellungsraum: Panta rhei |
U ISTE VODE STUPAMO I NE STUPAMO I JESMO I NISMO heißt übersetzt: „Wir steigen nicht zweimal in denselben Fluss“. Das Arrangement aus Gusseisen, Glas und Motoröl ist an einem Starkstromgerät angeschlossen: Auf diese Fläche, in dieses Wasser zu steigen, bedeutet Lebensgefahr. Kopljars Aktivierung des berühmten Heraklit-Zitats wird hier als lebensbedrohende Gefahrenzone ausgewiesen. Der überzeitliche Appell aus dieser Installation: Was aber ist zu tun, wenn wir spüren, dass sich die Geschichte dennoch zu wiederholen beginnt? |
2 OG Süd: 3. Ausstellungsraum: K14 |
Das postkommunistische Zagreb – eine Oase für Spekulanten im Kleid des (Post-)Kapitalismus: Zlatko Kopljar dokumentiert in K14, diesem poetischen Video, die sozialen Konflikte, die aus Immobilienspekulationen entstehen und viele Städte trifft. Sopnica Jelkovec ist ein neugebauter Stadtteil von Zagreb, der eigentlich ein sozialer Wohnbau hätte werden sollen. Schließlich, nach zahlreichen Pleiten, wurde das Viertel zu einem zwiespältigen Ort. Die Wohnungen wurden zu Vorzugspreisen an ethnische Minderheiten und andere gesellschaftliche Gruppen vermietet, die wenig gemeinsam haben. Da es an sozialer Infrastruktur und angemessenen öffentlichen Verkehrsmitteln fehlt, bleibt das Viertel am Rande der Stadt isoliert. |
2 OG Süd: 4. und 5. Ausstellungsraum: K13 |
Konkurrierende Konfliktfelder gegenwärtiger Weltwahrnehmung – wie Mikro- und Makropolitik, Lokalität und Globalität, Postkapitalismus und Postsozialismus, materialistische Haltung und metaphysische Haltepunkte – sind für Zlatko Kopljar die Schnittstellen seiner Kunst, denen er mit einem ästhetisch unbedingten Potenzial zu begegnen versucht. In K13 hat er – erstmals in diesen Räumen im steirischen herbst 2009 zu sehen – einen aus 300 Neonröhren bestehenden Lichtturm als Rauminstallation gebaut, dessen Licht sich gleißend über die Öffnung der historischen Gänge ergossen hat: Es ist die vorletzte Ausstellung in diesen Räumen vor dem damaligen Umzug gewesen. |
2 OG Süd: 6. Ausstellungsraum: K7 und K8 |
Zur Aufführung von K7 sehen die Zuschauer*innen im Saal eine Drei-Kanal-Projektion. Zwei Projektionen zeigen die zuvor gefilmten Videoaufnahmen des Künstlers, wie dieser durch den Wald streift und in seinem Keller inmitten von Gerümpel und Abfall herumtobt. Die dritte Projektion ist die Echtzeit-Übertragung der Performance des Künstlers im Nebenraum, bei der er sich kopfüber und regungslos in einen Haufen von Pillen und Federn legt. Für die Performance K8 entnimmt eine Krankenschwester eine Blutprobe aus der Vene des Künstlers und füllt sie in einen Kristallwürfel. Der Künstler verschließt die versenkte Ampulle mit der Signatur von K8. Das Blutspenden, von Tausenden täglich vollzogen, wird hier ins Mythische und in den Akt der Stellvertretung überhöht. Der Künstler macht sich selbst zu einer Reliquie – aber nicht als Überhöhung eines Künstler-Ichs, sondern mit der Intention, „Hilfe“ in ein Kunstwerk zu bannen.
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2 OG Süd – Gang: K10 |
Im Gang des Südflügels im 2. Stock sind sechs Momentaufnahmen einer stundenlangen Aktion von Zlatko Kopljar aufgereiht, wie er auf den Hinterbeinen eines Stuhls schaukelt. K10 konfrontiert uns eine ganz einfache, triviale Aktion mit dem Körper und seiner Präsenz: Sie ist nicht etwas Sekundäres, sondern etwas, so Kopljar, in das man eindringen muss, um eine Frage zu stellen – „zum Beispiel nach Gott“. Der Prozess der De-Ontologisierung Gottes liegt für den Künstler nicht im Diskurs, sondern in der Präsenz des Körpers und seiner Regungen, im alltäglichen Atmen und in jeder Bewegung. Sich selbst in einen Ort ganz einzuschreiben und dort wirklich präsent zu sein: Das wäre Ontologie als Prozess. Es wäre jene Grenze, an der sich der erscheinende Körper und das unaussprechliche Wesen treffen könnten. |
2 OG Süd: 7. Ausstellungsraum: K1, K6, K22 |
Im letzten (oder, von der Hautstiege aus im ersten) Raum des neu gestalteten Südflügels im 2. Stock ist die letzte und die erste „Konstruktion“ von Zlatko Kopljar versammelt: In einer Zeitspanne von mehr als 20 Jahren hatte der Künstler akribisch seine einzelnen Performances und Filme konzipiert. Als drittes Werk (K6) ist die persönlichste eingespannt: Ein schlichtes Foto dokumentiert eine Markierungs-Performance an jener Stelle, als sein Vater im Krieg durch eine Bombe – wie viele andere in jener Stadt – getötet wurde: 23091992. Zwei Wochen später war die Markierung durch darüberfahrende Autos ausgelöscht.
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2 OG Flügel West: K2 |
„ICH BIN DER KÜNSTLER, DER DIE WELT VERÄNDERN WILL!“ Aus der Distanz eines ganzen Lebenswerks ist der Satz vielleicht selbstironisch. Als historisches Dokument ist er dennoch der Schlüssel zu Kopljars Werk: K2 entsteht in einer Galerie in Ostrava (Tschechische Republik): Auf dem Tisch in der Mitte des Raums liegen sieben Blätter Papier, auf jedem steht ein Wort aus dem genannten Satz. Der Künstler hebt ein Blatt nach dem anderen auf und hält es vor sein Gesicht, zeigt es dem Publikum und zerreißt es dann. Nachdem das letzte Wort vernichtet ist, nimmt er einen Schlegel unter dem Tisch hervor und beginnt, mit voller Kraft auf die Wände der Galerie einzuschlagen. Nach zwei oder drei Minuten sind auch die Zuschauer mit kleinen Hämmern ausgerüstet und beteiligen sich an der Zerstörung der Galerie. Die Präsentationsform in dieser Schau für diese historische Performance ist die eines Durchblicks in einen Ausstellungsflügel für einen Museumstrakt, der erst in den kommenden Wochen errichtet werden wird... |
Die Hauptwerke, u.a. K9 compassion, die „Knieperformance“ in New York und anderen Zentren der Macht, für die Kopljar international bekannt geworden ist, sind im 1. Stock der Museumsräume arrangiert. Der Künstler kniet dabei auf einem Taschentuch, dem einzigen Stück Land, das er dabei hat. Seine Geste ist nur auf dem ersten Blick eine Unterwerfung. Sie ist vielmehr eine Selbstbehauptung. Jahre später reflektiert Kopljar diese Performance mit einem erneuten New York-Aufenthalt: K17 wird zum erschütternden Dokument eines Aufeinander-Angewiesenseins weniger durch Empathie, als viel mehr in der Gier: Der Film ist im Cubus zu sehen.
Was kann Kunst zu den Gesellschaftsfragen beitragen? Zlatko Kopljar hat eigentlich sein ganzes Lebenswerk dieser Frage gewidmet. Sie ist auch gebündelt in der Frage nach dem Sinn eines Museums: In K4 versperrte er es mit einem Betonblock, in K20 Empty gießt er sein ganzes Volumen des MoMA in New York und der Tate Modern in London in Betonmodelle, die die Eingangswerke im Südflügel bilden. Ihre Volumen sind auch als Reliquiare zu deuten.
1 OG Flügel Süd (Ost): K21 Random Empty |
Einen Stock tiefer, (im ehemaligen Ausstellungsflügel Süd des KULTUM und nunmehrigen neuen Gästetrakt des Minoritenkonvents), sind im Gang zwei enigmatische Skulpturen ausgestellt, die konstruierte Leerräume aufweisen: Abermals Modelle aus Beton. Sie könnten Modelle für leerstehende Wohnungen sein, Behausungen des Sozialen und Existenziellen mit den darin sich ereignenden Nöten und Ängsten: „Zufällig leer.“ „Zufällig frei.“ Mit K21 Random Empty verabschiedet sich Zlatko Kopljar nämlich von seinen „K“s, den abstrakt klingenden Konstruktionen, mit denen er 1997 begonnen hat und in einer unvergleichlichen Weise den Künstler als Performer, Gestalter, Ermahner, Zerstörer, Zweifler, Heiler, Lichtbringer … vorgeführt hat. Auch das Video ist höchst abstrakt und zitiert die drei Grundfarben der digitalen Bildwahrnehmung: RED, GREEN, BLUE. Dazwischen aber ist nicht (mehr) Weiß – was die physikalische Wahrheit wäre – sondern das Schwarz. |
1 OG Flügel West – Gang: K11 |
Auf dem Weg zur Leere, zur Auslöschung, hält Zlatko Kopljar in seinem „K“-Projekt an zahlreichen Stationen inne. Im Gang des Westflügels sind mit K11großformatige Fotoabzüge zu sehen, auf denen der Künstler Künstlerkollegen fotografisch porträtiert und inszeniert, die sich nie in den Mainstream einfügen wollten. Die meisten von ihnen sind schon tot. Sie blieben sich selbst immer treu, blieben damit aber auch am Rande der Gesellschaft, vernachlässigt und schließlich vergessen. Auch sie wollten die Welt verändern, doch die Welt hat sie nicht beachtet und gesehen. Kopljars Bildsprache ist radikal: Er stellt sie, die im Grunde Ähnliches wollten wie er, als gesellschaftlichen Abfall dar, als unerwünschte Menschen. Die Serie ist eine Radikalanklage gegen Tendenzen in einer kapitalistischen Kultur, die Umstände schafft, dass bestimmte Menschen an den Rand verbannt oder sogar ganz ausgeschlossen werden. |
1 OG West Zelle 4: K18 |
Die letzte in dieser Gestalt ist K18. Darin verabschiedet sich der Künstler als Lichtfigur, die mit K13 erstmals aufgetaucht ist. Er verabschiedet sich auch als jene „persona“, die als „Blitzableiter menschlicher Sehnsucht“ zum Ereignisort seiner künstlerischen, existenziellen, gesellschaftskritischen und transzendierenden Konstruktionen geworden ist. Die ganze Zeit über folgt die Kamera dem Bach im Wald. Am Ende des Films findet die Kamera den Tod als „Wesen“. Der Film schließt mit einem vibrierenden Rechteck in einem dunklen Wald und basiert auf der Frage: „Ist es nicht die Aufgabe eines Künstlers, sich ständig von der Kunst zu verabschieden?“ Der Sound klingt wie ein Geräusch oder wie Musik, es legt sich ein poetischer Text von Miloš Đurđević über die Abwesenheit, über den Tod und die Vergänglichkeit über die Szene |
1 OG West Raum 8: K12 |
Den ersten Tod erlebt der Künstler im schwarzen Anzug in K12. Das Doppelvideo, im Raum vor dem Cubus zu sehen, ist ein Wendepunkt in der Großerzählung von Kopljars Konstruktionen. |
1 OG West Raum 7: "I believe", LOVE SHOT, K15 |
Das ist Glaube. Mehr als ein Jahrzehnt vorher, am Beginn seines öffentlichen künstlerischen Schaffens, rammt Zlatko Kopljar eine ganze Serie großer Nadeln in die Wand, ohne Zwirn, ohne Faden. Die Installation ist auf der Lehmwand im großen Ausstellungsraum im Westflügel vor dem Cubus aufgebaut: I believe ist ein „Bekenntnis“, das man als Kunstwerk selten findet. Es imaginiert ein rituell wiederholtes Zusammennähen, auch wenn der Faden fehlt. Das rituelle Tun, so Kopljar, der zur Entstehungszeit dieser Arbeit stark von Andrej Tarkowskj beeinflusst ist, ist die Übung für den Glauben. Die Installation korrespondiert mit jener von „Mastodont“ im Stiegenaufgang zum Dachboden mit der großen Nadel und den darunterliegenden Federn. Was sich in seiner Jugend im Krieg in Kroatien ereignet hat, hat der damals junge Künstler ein Jahr später (1996) mit der Performance LOVE SHOT zu neutralisieren versucht: Er graviert das Wort für Liebe in Kroatisch, Englisch und Italienisch auf ein Projektil. Er fährt zu einem bewaldeten Hügel in der Nähe von Zagreb, wo das Publikum und seine Waffe auf ihn warten. Der Künstler lädt die Waffe und feuert sie blind in die Nacht. Er hofft, dass die Kugel der Liebe in fruchtbarem Boden landen und schließlich sprießen würde. Die beiden Frühwerke werden in diesem Raum mit einer späten „Konstruktion“ konfrontiert: In K16 gräbt die Lichtfigur ein quadratisches Loch in die Erde, immer tiefer, bis sie verschwindet. „Ich grabe ein Loch am Rand von Europa. Es ist ein quadratisches Loch der ungelösten tiefen Geschichte, ein alltägliches Loch für das Vergessen, das die alltägliche Realität niedertrampelt. Das Loch ist tief.“ |
1 OG West – Cubus |
Kopljars Verhandeln gesellschaftlicher Themen ist schließlich ein erschütternd in K17 nachzuvollziehen. Schauplatz ist New York. Der Künstler, der in seiner Großerzählung längst nicht mehr lebt, kehrt als Lichtfigur im Big Apple wieder. Ob als Engel oder Lucifer ist nicht ganz entschieden. Als Lebender (in schwarzem Anzug) war er fünf Jahre vorher in dieser Stadt gekniet, u.a. vor der Wall Street in New York (K9 compassion). Nach dem Börsenkrach 2008 – zu dieser Zeit kommt es zu Occupy-Bewegungen und Protesten auf der ganzen Welt – kehrt er also an denselben Ort zurück und setzt mit K17 ein erschütterndes Dokument gegen die Gier: „In diesem Projekt geht es um den dringenden Bedarf an Ethik im Bereich des globalen Finanzwesens“ (Zlatko Kopljar). In der dunklen U-Bahn Manhattans beginnt der Film; der Künstler schreitet, erneut als Lichtfigur mit gleißendem Anzug, sicheren Schritts zum Ausgang. Oben angekommen steht er inmitten der sich an ihm vorbeiziehenden, dichten Menschenmenge. Es herrscht Dämmerung, aber dichtes Treiben. Die Lichtfigur verharrt und schaut dem Treiben zu, teilnahmslos, wie aus einer anderen Welt. Derartige Szenen wiederholen sich. Schließlich geht die Hauptfigur weiter, an einen weiteren, dunklen Ort: Das Tunnelsystem der U-Bahn wird mehrfach eingeschnitten, unterbrochen von einer Großaufnahme von an einer Reihe buchstäblich aufgefädelter Menschen: Sie beißen in ein gelbes Seil, das sie aneinanderheftet. Sie wirken wie Geißeln. (Ein derartiges Foto ist tatsächlich aus einem Konzentrationslager aus Nazi-Deutschland überliefert). Die Szenen wiederholen sich. Schließlich sieht man die Lichtfigur auf dem Dach eines Wolkenkratzers, sie versteckt sein Gesicht – ganz offensichtlich aus Scham – und stellt sich in eine dunkle Ecke zwischen den Schornsteinen. |
1 OG Flügel Süd (West): K9 compassion |
K9 compassion, die „Knieperformance“ in New York und anderen Zentren der Macht, für die Kopljar international bekannt geworden ist, ist im Südflügel hin zum Minoritensaal aufgereiht. Der Künstler kniet dabei auf einem Taschentuch, dem einzigen Stück Land, das er dabei hat. |
1 OG Minoritensaal |
Mit unverhohlenem Pathos wird der barocke Minoritensaal in dieser Schau zusätzlich übersteigert: Die Stimme, die seinen Raum erfüllt, stammt aus der Schlusseinstellung von Andrej Tarkowskijs „Nostalghia“ (1983). Sie hält einen letzten Aufruf zum Zusammenhalt und ruft zur Umkehr auf. In der Predigt des „Verrückten“ Domenico auf dem römischen Kapitol werden die Irrwege der modernen Zivilisation angeprangert, bevor sich der Prediger auf dem Reiterstandbild Marc Aurels mit Benzin übergießt und im Wegrennen schließlich verbrennt. Auf der Lesekanzel ist ein kleiner Bildschirm positioniert, auf dem man nur ein Flimmern sieht: Die erste Version von K9, erstmals im „The Kitchen“ in New York gezeigt, ist durch und durch ikonoklastisch. In Wirklichkeit sind all jene zuvor genannten Orte zu sehen, vor denen Kopljar niederkniete, als Video, die später „K9 – compassion“ lauten. Doch die Bilder wurden digital zerstört und zwar nach einem strengen Muster, das aus der DNA des Blutes des Künstlers erzeugt wurde. Dieses Verfahren steigert noch einmal die existentialistische Brechung, die sich mit dem Anspruch dieser Geste der Unterwerfung verbindet. |
1 OG Süd Franziskussaal: Disturbances |
Nach dem Abschluss seiner „Konstruktionen“ im Jahr 2019 entwirft sich Zlatko Kopljar – in den Lockdown-Phasen der Covid19-Pandemie – als Künstler neu. Er mietet sich erstmals ein Atelier in Zagreb und besinnt sich dem, was er bis 1991 in Venedig auch studiert hat: der Malerei. Seit seinem Studienabschluss ist er nämlich nie mehr als Maler vor die Öffentlichkeit getreten. Seine seit 2021 entstehenden Gemälde sind das erste Mal überhaupt in dieser Ausstellung – in zehn großformatigen Gemälden – zu sehen. Auf den ersten Blick knüpfen seine Gemälde in der abstrakten Farbfeldmalerei der 1960er und 1970er Jahre an. Ein genaueres Hinsehen auf die malerische Gestaltung seiner Gemälde verrät freilich mehr. Ging es dort um die Auslöschung der künstlerischen Handschrift, sind die Farbstreifen in Zlatko Kopljars in Wirklichkeit höchst erzählerisch: In einem kleinen Farbausschnitt der einzelnen Farbstreifen kann man die stunden-, tage- und wochenlange Arbeit des Malers Zlatko Kopljar erahnen. Er macht seither tatsächlich nichts anderes, als täglich auf diese Art zu malen. Dass er die Malereien „Störungen“ nennt, zeugt von der Brücke zu seinem bisherigen Lebenswerk. |
1 OG Süd Galerie |
Auslöschung gilt für den Künstler schließlich auch dem Ort der Präsentation von Kunst. Ihn profund zu hinterfragen ist als Epilog der Ausstellung demnach gebündelt auch in der Frage nach dem Sinn eines Museums – dem typischen Aufbewahrungsort für die Bilder: In K4 versperrt Kopljar 2002 das damalige Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb in einer nächtlichen Aktion mit einem 12 Tonnen schweren Betonblock, in K20 Empty gießt er die Volumina des MoMA in New York und der Tate Modern in London in Betonmodelle, die die letzten Werke auf der Galerie des letzten Raums der Ausstellung im Südflügel bilden. Sie geben kein Inneres frei. Ihre Volumina sind auch als Reliquiare zu deuten, die mit den gleichen Modellen 2018 enstehen: Diese waren erstmals bei „Glaube Liebe Hoffnung“ im Kunsthaus Graz ausgestellt und wurden damals für die Sammlung des KULTUM erworben. |
Fragen von Metaphysik sind bei Kopljars Werk ein durchgehendes Motiv über mehr als drei Jahrzehnte, er hat fast alle Varianten der künstlerischen Ausdrucksweise von Performance, Fotografie, Film, Skulptur, (Gedächtnis-)Kunst durchgespielt.
Seit drei Jahren hat er sich entschieden, erstmals und nur mehr zu malen. Konsequent vermeidet er dabei jede offene Botschaft. Es sind „Streifenbilder“, die aber bei näherem Hinsehen eine durchaus subjektive Malgeste offenbaren, womit er sich auch von der Auslöschung des Künstler-Ichs distanziert.
ZLATKO KOPLJAR: ERASION (Works from 1990–2024)
At a time of deeply felt crises and new wars, the work of Croatian artist Zlatko Kopljar is an artistic example of an ethical and aesthetic (re)orientation: Kopljar explores the lasting after-effects of the traumas of the 20th century for the present day and subjects them to artistic transformation. In co-production with steirischer herbst ‘24, the KULTUMUSEUM Graz is showing a retrospective of the artist's work spanning a period of 30 years.
Fascism, extermination, the Ex-Yugoslav Wars, (post-)socialism, (post-)capitalism: these are the fields of research and transformation in Zlatko Kopljar's art. After almost three decades of the most diverse forms of artistic expression in photography, performance, film and sculpture, in recent years they have culminated in an almost complete iconoclasm in the form of large-format paintings.
Fundamental questions of guilt and sacrifice, the prospect of a new ethical behaviour, aspects of metaphysics and a transcendence of life are consistent motifs in Kopljar's work: in his 22 ‘K “s (”Constructions’) from 1997 to 2020, he developed the figure of the man in the reflective suit: it is the protagonist of Kopljar's video works who configures a ‘persona’, like a lightning rod for human longing. It disappears at the end, transforms into a sculpture in the void and finally reappears as a painting in the form of ‘stripe paintings’: four years ago, Kopljar decided to paint for the first - and only - time: his cinematic, performative and sculptural work, which he is donating to the KULTUMUSEUM's collection, will be on display in this major retrospective, which spans the entire Minoritenzentrum, as well as the new, large-format paintings that have never been exhibited before, which are highly narrative despite their high degree of abstraction.
This exhibition in the partner programme of steirischer herbst 24 with its current theme ‘HORROR PATRIAE’ shows an artistic arc spanning more than three decades. Kopljar also deals with his personal ‘Horror Patriae’, which is also a general and topical issue—not only for Austria, but for the whole of Europe. However, the artist extends his own trauma from the former Yugoslavia and its wars to the traumas of the 20th and 21st centuries.
Fascism, annihilation, (post-)socialism and (post-)capitalism are at the focus of his artistic research and transformation. His recurring question in life is: ‘What role does the artist play in all these fields?’ And art itself? Even if the artist fail from the ground up (K2, K11, K12, K18): There is a fascinating dialectic in Kopljar‘s work that the artist consistently plays out. What unites all these processes and images has an ambiguous intersection with the exhibition theme of ‘erasion’.
‘Erasion’ is also evident in Kopljar‘s surprising paintings (since 2022), which are being shown to the public for the first time ever: ten “Disturbances” conclude the exhibition in the Franziskussaal. The extensive show begins here in the courtyard in front of the Minoritensaal with bricks from a former concentration camp in Jasenovac that had been cleared for the construction of houses (K19). It spans the arc to Willi Brandt‘s restaged kneeling (K15) in the Warsaw ghetto in the Small Minorite Hall and leads via the lift or the west staircase to the newly adapted exhibition wing on the second floor: the early work with the documented performances and the late work of his 22 ‘constructions’, which revolve around light and extinction, can be seen in the seven exhibition cells and in the corridor. Light feathers and a large needle lie on the platform leading to the attic (which can only be viewed with an exhibition guide).
The main works, including K9 compassion, the ‘knee performance’ in New York and other centers of power, for which Kopljar has become internationally renowned, are arranged on the first floor of the museum rooms. The artist kneels on a handkerchief, the only piece of land he has with him. His gesture is only a submission at first glance. Rather, it is a self-assertion. Years later, Kopljar reflects on this performance with a further stay in New York: K17 becomes a harrowing document of being directed at one another less through empathy than through greed: the film can be seen at Cubus.
What can art contribute to social issues? Zlatko Kopljar has dedicated his entire life‘s work to this question. It is also bundled in the question of the meaning of a museum: in K4 he blocked it with a concrete block, in K20 Empty he casts his entire volume of the MoMA in New York and the Tate Modern in London in concrete models, which form the entrance works in the south wing. Their volumes can also be interpreted as reliquaries.
Kopljar's artistic training in Venice was shortly before the outbreak of the Balkan war in his home country. One of Kopljar's first exhibitions was entitled ‘Sacrifices’. As a very young artist, Kopljar presented himself to the Zagreb public 32 years ago (1992) in the exhibition ‘Sacrifice’ (in the Cekao Gallery). He used both the ritual gestures of the Old Testament (sacrifice, purification, cleansing) and materials that are characterised by a great potential for interpretation (blood, honey).
Zlatko Kopljar, Sacrifice, 1992
Kopljar thus created the biblical quartet of sin-sacrifice-cleansing-purification. In a figurative sense, the four pillars of the exhibition stood for four questions: the power of sin, the greatness of the sacrifice, the possibility of absolution and the path to purification. Careful execution, the whiteness of the room and a few drops of blood were reminiscent of purgatory and emphasised the sacred atmosphere, which fit the spiritual aspect of the exhibition like a glove.
A few years later, he once again took up a biblical motif: ‘The Sacrifice of Isaac’ (1993) In terms of religious history, the sacrifice of Isaac by Abraham is seen as the end of human sacrifice for the deity. But did it stay that way?Zlatko Kopljar's early work, written immediately after the War, is a disturbing reminder of Abraham's sacrifice.Why has God not intervened today - in the murder and sacrifice of his own ‘sons’ - as he once did in the Bible?Zlatko Kopljar's treatment of Isaac is simply about the courage not to do so.It was modelled on Caravaggio's Sacrifice of Abraham.But there an angel holds the sacrificer back - in Kopljar's work, it is only the outward gaze of the viewer. ‘I don't believe in angels,’ says the artist. ‘But I do believe in courage, in the courage not to do it. “In ”Love-Shot’ (1996), Zlatko Kopljar engraved the word for ‘In Love’ in Croatian, English and Latin on a projectile. He drove to a wooded hill near Zagreb, where the audience and his gun were waiting for him. The artist loaded the gun and fired it blindly into the night. He hoped that the bullet of love would land in fertile soil and eventually sprout.
Zlatko Kopljar
Love Shot / 1996, Performance / Mini DV video / 3′ 24″
In 1997, he began his ‘Constructions’, which he henceforth referred to simply as ‘K ’s. They are documentations of impressive performances that often leave behind ‘relics’.‘K6’, for example, shows a graffiti on a street that marked the time and place of his father's death in the bombing (23 September 1992).10 days later, this graffiti had disappeared again due to passing cars. A total of 22 constructions were to be created between 1997 and 2019.
Gradually, the figure of the man in the reflective suit is developed, the protagonist of Kopljar's video works, who configures a ‘persona’ with which viewers can identify, like a lightning rod for human longing. In more recent works, scale models of objects offer viewers a surface onto which they can alternately project their own associations, their admiration or their unease.
Questions of metaphysics have been a continuous motif in Kopljar's work for more than three decades; he has explored almost all variants of artistic expression from performance, photography, film, sculpture and (memory) art. For the past three years, he has decided to paint for the first and only time. He consistently avoids any overt message. They are ‘stripe paintings’, but on closer inspection they reveal a thoroughly subjective painting gesture, with which he also distances himself from the cancellation of the artist's ego.