Doppelter Gast Udo Kawasser und Nadja Küchenmeister
Am 22. Mai 2025 waren unsere Doppelten Gäste zwei Lyriker:innen, die dem Vergänglichen, der Zeit, dem Wesen Mensch viel Platz in ihrem Schreiben einräumen, den sie dann aber mit unterschiedlicher Seelenruhe beschreiten. Udo Kawasser hat aus tarquinia. gespräche mit schatten (Limbus-Verlag, 2024) gelesen. Nadja Küchenmeister aus ihrem Langgedicht Der Große Wagen (Schöffling & Co, 2025).
Aus den Einführungen von Barbara Rauchenberger
Herzlich willkommen! Ich freue mich sehr, dass ich heute Udo Kawasser und Nadja Küchenmeister einleiten und Ihnen kurz vorstellen darf und im Anschluss an ihre Lesungen erneut einem Bühnen-Gespräch, geleitet von Helwig Brunner, folgen darf.
Es ist ein Abend in der Reihe „Der doppelter Gast“. Sie wissen Bescheid: Zwei Lyriker, der eine (Udo Kawasser) von mir eingeladen, bat Nadja Küchenmeister ihn zu begleiten. Und Nadja Küchenmeister ist nun bereits zum zweiten Mal hier, als Begleitung: Im Covid-Juni 2021 war sie gemeinsam mit Kerstin Preiwuß zu Gast, und Sie kamen quasi direkt vom Mayröcker-Begräbnis aus Wien zu uns (und ja, damals war es der dritte Abend in dieser Reihe)
Was also verbindet die heutigen Gäste miteinander? Diese Frage wird vermutlich im Gespräch noch einmal gestellt werden.
Mein ganzes Augenmerk liegt allein auf den zwei mitgebrachten Lyrikbänden, aus denen heute gelesen wird.
Udo Kawassers Band „TARQUINIA. gespräche mit schatten“, erschienen bei Limbus 2024 und Nadja K. „Der Große Wagen“, erschienen bei Schöffling in diesem Jahr und derzeit Platz 1. der SWR Bestenliste. (Beim Vorbereiten dieses Abends meinte ich: Ich sollte das erwähnen)
Gerade diese beiden aktuellen Bände brauchen ein feines Gehör und ein sorgsames Gespür, um den Gehalt diese beiden Gedicht-Bände auch tatsächlich zu heben.
Udo Kawasser, der zu Beginn lesen wird, ist ein wahrer Dichter, Tänzer, Übersetzer und Poesiegalerist. Geboren 1965 in Vorarlberg, studierte er deutsche, französische und spanische Philologie in Innsbruck und Wien, wo er heute lebt. Er widmet sein Leben gänzlich dem literarischen Schaffen, nicht nur seines eigenen, sondern auch dem Schaffen anderer; als umtriebiger Vermittler zeitgenössischer Lyrik im Rahmen der von ihm gegründeten poesiegalerie ist er darüber hinaus auch freundlicher Wächter eines begehrten „Anlaufparadieses“ für Lyriker und Lyrikerinnen. 2020 erhielt er daher zurecht den Alfred-Kolleritsch-Würdigungspreis.
Zehn Bücher hat Udo Kawasser bisher vorgelegt. Vom ersten wuchtigen Prosaband im Jahr 2007, der dem Kuba erfahrenen Tänzer Kawasser semiautobiographisch nachgeht, über die Gedichtbände, die die sinnliche Wahrnehmung und poetische Übersetzung dessen, was uns als Natur und Landschaft umgibt, aufgreifen, wie unsere in die Antike zurückreichenden kulturgeschichtlichen Wurzeln. Es folgen Bände, poetische Aufzeichnungen, die vom Element Wasser geprägt sind. „die blaue reise. donau – bosporus“ erschien (2020) und entfaltet eine Liebesgeschichte zwischen Wien und Istanbul und damit auch eine intime Begegnung zweier Sprach- und Kulturräume.
Eine bei weitem noch tiefere existenziellere Begegnung findet in seinem jüngsten Lyrikband „tarquinia – gespräche mit schatten“ (2024) statt: In Beschäftigung mit Lukrez, Epikur und etruskischen Wandmalereien – aber auch zeitgenössischen Phänomenen wie Pandemie und Klimawandel – setzt sich der Autor dem vergänglichen Diesseits aus und misstraut den diesseitsorientierten Bildern im Angesicht des Todes. Er legt „ein Poem mit korrespondierenden Bildern“ vor, wie ich es einer Besprechung entnehmen kann, „in dem es um alles geht: Leben, Tod, Sprache, Liebe, Philosophie, das Hineingehen in eine Landschaft und das Räsonieren über Sinn und Materie.“
Es ist ein Langgedicht, farbintensiv vom Autor selbst bebildert, welches in sechs Einheiten, in Canti also, gegliedert ist. Die etruskischen Fresken, die er in der Nekropole Traquinia (87 Kilometer nordwestlich von Rom entfernt) besucht, gehalten in den Farben Ocker, Rost, Umbra und Lapislazuli, benützt er wiederkehrend als Titel in den Canti. Es ist, als würde er damit seine Gedichte in Grabkammern legen, jeweils 6 Sprachkammern je Canti, denn er greift auch zu Kohle und Kreide.
So beginnt dieses Langedicht mit einer Ankunft „im südlichen haus ohne dich“. Und der unumstößlichen Gewissheit „wir sind sterblich, weil wir durchs licht zu gehen vermögen“ und es ist das Licht, das „unsere schatten in lachen zu füßen gießt“. Und steigt hinab in die Tiefe zu den Mauern ohne Fenster, versucht zu begreifen, dass wir nicht dort sind, wo der Tod ist, denn wir, dieses lyrische Wir, haben Augen für den Tanz an den Wänden: die Asche hat keine Augen!
Kawassers Lebenstanz beschwört unser Sehvermögen, die wir durchs Licht gehen und diese Endlichkeit, die uns „hinausführt in die Natur um dort an jener linie zwischen staub und leben zu einer sprache zu finden mit der wir gemeint sind.“
Einmal heißt es, der Tod sei so etwas wie der kommende Verlust der Augen und der einzige Ort, wo wir hingehen könnten, ist in uns. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Tisch der Verwesung richtig verorte, wenn ich meine, Kawasser platziert den Tod von den Wänden der Grabkammern auch als Metapher für den menschlichen Körper (also kein Tempel des Geistes), den wir ein Leben lang decken, von dem wir nehmen, bis „morgen um diese zeit kein wahrscheinlicher satz mehr war für uns“ (heißt es am Ende).
Notgedrungen bleibt nach den Gesprächen mit Schatten ein Schatten, der Schatten der Wahrscheinlichkeit selbst. Denn von welcher ist hier die Rede: Wahrscheinlichkeit als Schein der Wahrheit oder doch als das “der Wahrheit Ähnliche“. Endgültigkeiten klingen, wie ich meine, anders.
NADJA KÜCHENMEISTER
In einem Augenblick die Vergangenheit zu entfachen, ist die große Kunst von Nadja Küchenmeister. Voraussetzung dafür ist eine geschärfte Wahrnehmung der Welt, ein Exzess präziser Erinnerungen und das Verlangsamende des Staunens und Fühlens. Das „Zurück in die Vergangenheit“, das Erinnern, soll nicht Hals über Kopf, in einem „Wagenrennen“ geschehen, sondern durch reflektiertes Innehalten und Weitergehen. Es geht nie um etwas anderes, als um Verlassen und Aufbruch (wie es ein Gedichtbeginn von Angela Krauß „Ich muss mein Herz üben“ sagt, der für den „großen Wagen“ meisterhaft zutrifft –wenn man gelten lässt, dass Gedichte über Gedichte oftmals das feinere Instrument sind, einen Zugang zu legen).
Also noch einmal Angela Kraus (Ich zitiere): Es gibt unter den Künsten keine schwerere Kunst als die Sprache. Nur in der Sprache drücken wir alles durch das Sieb des Verstandes. Feder oder Sieb? In meiner Einbildungskraft dachte ich oft beim Anblick einer klaren Sternennacht an ein Sieb.
Ich komme mit diesem Bild also weiter.
Und lese die glänzenden, klingenden Worte der 1981 in Berlin geborene Autorin, die sie zu Sprachgebilden zusammenfasst, stets innerlich neu angerührt: stark und unverwechselbar.
Nadja Küchenmeister studierte Germanistik und Soziologie an der Technischen Universität in Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Ihr erster Gedichtband „Alle Lichter“ erschien 2010, 2014 folgte „Unter dem Wacholder“, 2020 „Im Glasberg“ (mit dem sie zuletzt hier was) und 2025 „Der große Wagen“. Alle Bände sind bei Schöffling erschienen. Nadja Küchenmeister ist eine vielfach ausgezeichnete Autorin, u.a. mit dem Mondseer Lyrikpreis, dem Ulla-Hahn-Autorenpreis, dem Förderpreis zum Bremer Literaturpreis, sowie 2022 den Basler Lyrikpreis.
Der große Wagen, das ist wie auf Erden so am Himmel, das „zeitlos erscheinende Vehikel“, das NK besteigt, stehend am Fenster, in den frühlinghaften Nachthimmel blickend, zu einer Zeit und Raum übergreifende „elementaren und konkreten LebensFahrt eines lyrischen Ichs“ aufzubrechen (die sie von Berlin, nach Köln bis nach Lissabon führen wird). Eine Biografie im Fluss, die Quelle der Tod eines nahen Angehörigen, an die Ufer steigen Kindheitserinnerungen, Augenblicksanwandlungen, Abschiede und alles, was war. Darüber das stehende Dach eines Sternenhimmels, darunter ein sich Erfahrung um Erfahrung erschreibendes Ich – Welches uns Lesende mitnimmt – über 1200 Verse hinweg, die zu 10 Zyklen und dann erneut zu jeweils 5 Treppenräumen geordnet sind. Ja, so würde ich das etwas unorthodox beschreiben, denn: Nadja Küchenmeister schreibt tatsächlich in Stufen. Denn auch dieser Gedichtband besteht aus Dreizeilern, also einer Terzinenform, die einem auch unweigerlich an Dante erinnert. Und so etwas wie eine kosmisch durch rhythmisierte Form hat. Und ihre eingestreuten Binnenreime wirken hier wie aufblitzende Sterne. Abbrüche wie Sternschnuppen.
Kein einziger Vers zieht sich ins Hochpoetische zurück. Jede Zeile vereint Klänge und Empfindungen, nie eine Verlautbarung.
Natürlich fällt einem I. Bachmann ein mit ihrer Anrufung des Großen Bären, ist doch der große Wagen, ja, Teil dieses Bären. Jener Teil mit den hellsten 7 Sternen.
warum möchte ich alles vergessen/man kann die toten nicht vergessen/aber die toten vergessen uns
Aber wir dürfen keine NACHSICHT mehr von ihnen erwarten. Die Vorsicht und die Nachsicht der Lebenden, das ist, was dieser Band in den dunklen Saal projiziert und den Ton der Erinnerung und des Vergessens anstimmt: Die Toten, die den anderen gehören, die nicht mehr angehören. Das erinnert mich an Bachmann und ihr Gedicht „Dunkles zu sagen“, in dem es heißt: und ich gehör dir nicht zu.
Mit diesem Gedichtband würde ich sagen: Dichter, Dichterinnen sind universelle Angehörigen!