Gestern ist die sehr erfolgreiche Schau "Mutter Gottes" von Judith Zillich mit einer viel besuchten Abschlussführung zu Ende gegangen. Am kommenden Samstag, den 19. Februar um 11 Uhr, eröffnen wir unsere nächste Ausstellung, die (im Titel) erneut von "Maria" handelt: Doch diesmal ist es "die andere Maria", wie der Künstler nicht müde wird zu betonen. Sie ist eine Stellvertreterin für eine, die nicht gekommen ist ... Und Stellvertreter sind auch alle anderen Protagonisten, die hier auftreten: Ein Schauspieler für einen berühmten Psychiater, ein treuer Ausstellungsbesucher für die vielen, die ... Die Schau handelt von Stigmata, Stigmatisierung und die wissenschaftlichen Fragen, die sich dabei auftun – sie wird "ein Zeichenspiel zu Stigmata in vier Akten". Der Zürcher Künstler Till Velten ist der Gestalter dieser aufwändigen Schau, die auch bei der diesjährigen "Kunst zum Aschermittwoch" im Zentrum steht.
Wer "Stigmata" bislang nicht so interessant fand wie der Künstler: Nach dem Besuch dieser besonderen Schau wird er/sie anderer Meinung sein!
Lesen Sie im Anschluss, worum es geht – und fühlen Sie sich herzlich zur Eröffnung am kommenden Samstag eingeladen! Die Schau wird bis zum 20. März 2022 zu sehen sein.
Mit herzlichen Grüßen
Johannes Rauchenberger
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Gibt es Wunder? –––
Und wenn sie am eigenen Körper auftreten – nicht als Heilung, sondern als Schmerz? Der „Gesprächskünstler“ Till Velten (Zürich) zeigt dazu zur bald beginnenden Fastenzeit vom 19. Februar bis zum 20. März 2022 eine multimediale Schau, die das Phänomen der Stigmata problematisiert.
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Stigmata sind Wundmale (Christi). Der erste, der sie getragen hat, war der Hl. Franziskus. Er ist bekanntlich der Gründer des Minoritenordens. Das KULTUM reflektiert also nach dieser Umbauzeit seine Präsentationsflächen für Kunst und Religion auch hinsichtlich ihrer historischen Wurzeln.
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Auch im Grazer Minoritensaal gibt es ein (frisch renoviertes) Bild der Stigmatisierung des Hl. Franziskus.
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Seit Franziskus gibt es immer wieder Menschen, die diese intensivste Form der Einswerdung des eigenen Körpers mit einem geschauten Bild erleben. Weitergetragen hat sich auch das Wort: „Stigmatisierte“ gibt es gerade jetzt zuhauf. Ihre Bezeichnung geht auf einen Akt der „Stigmatisierung“ zurück. Aber von wem? Warum? Und was ist da insgesamt dran?
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Das Cover der Kunstedition, die zu dieser Ausstellung im Verlag Moderne Kunst Wien erschienen ist.
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Till Velten macht daraus ein Kunstprojekt, das als eine Weiterentwicklung seiner bisherigen Involvierungen zu sehen ist: Der Künstler interessiert sich für Lebenssituationen, die Grenzen markieren oder öffnen. So zeigte er etwa, wie Prostituierte in ritueller Gleichheit zu Therapeuten oder Priestern Nähe herstellen. Er ging wochenlang in eine Demenzklinik, um Angehörige, Mitarbeiter oder von fortschreitender Demenz Betroffene vom schwindenden Gedächtnis und von beinträchtigter Sprache erzählen zu lassen. Er interessierte sich für SeelsorgerInnen, die in ein Burnout geschlittert sind und therapeutisch betreut werden – in der Therapie entstanden „Seelenräume“, die in Münsterschwarzach vergoldet wurden (und im KULTUM in der Ausstellung „Seelenwäsche“ gezeigt worden sind: Sie sind Bestandteile des KULTUMuseums).
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Till Velten, geboren 1961 in Wuppertal, studierte an der Düsseldorfer Akademie bei Gerhard Richter und Fritz Schwegler Kunst und später in Stuttgart Soziologie. Es folgten zahlreiche Einzelausstellungen, Publikationen und Professuren an Hochschulen in Europa. Seit 2001 ist ein Schwerpunkt seiner Arbeit, in Gesprächen die Erfahrungswelten höchst unterschiedlicher Menschen zur Sprache zu bringen und diese in komplexen Installationen hör- und sichtbar zu machen. Till Velten lebt und arbeitet in Zürich und Berlin.
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Er interviewte aber auch die Swarowski-Erben, die er in ein Gespräch über Glanz und Verantwortung verwickelte. Oder ließ Flüchtlinge in einem Orchester Beethovens Neunte spielen. Immer sind es „Projekte“, die ganz an die Grenze gehen, von ihm und seiner Umgebung das Äußerste fordern, oft hart an der Grenze zum Voyeurismus tänzeln und dann doch von einer unendlichen Herzenswärme des Künstlers gleichsam „gerettet“ werden.
So auch hier: Veltens „Stigmata“-Interesse geht auf ein gescheitertes Interview mit einer angeblichen Stigmata-Expertin (Judith von Halle) zurück und mündete stattdessen in vier stark ritualisierte Veranstaltungen (aus der Vor-Corona-Zeit) im historischen Cabaret Voltaire in Zürich, wo 100 Jahre zuvor schon die Dadaisten zu diesem Phänomen experimentiert hatten. Als eigenständige Ausstellung erlebt es nun im KULTUM seine „Uraufführung in vier Akten“.
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Am Anfang werden die Besucherinnen und Besucher begrüßt – von einem unscheinbar wirkenden Mann, der „wie ein Ausrufer in St. Pauli” (Till Velten) die Sensationen anpreist, die er selbst nicht alle so ganz versteht, aber trotzdem gut findet. Es war ein ständiger Besucher dieser Abende in Zürich. In der Ausstellung im KULTUM setzt Till Velten diesen Mann (Nenad Nevadovic) in eine Hauptrolle, denn er steht stellvertretend für alle treuen AusstellungsbesucherInnen. Vielleicht auch stellvertretend für die BildungsbürgerInnen, die Ausstellungen besuchen. Unüberhörbar klingt aber auch das „Ave Maria“ durch die Gänge, gesungen von Maria Callas.
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Die Drucke der „Anderen Maria“, die in der Ausstellung im KULTUM Graz zu sehen sind, entstanden während der Diskursveranstaltungen im Cabaret Voltaire in Zürich: Sie sind der ästhetisch „schöne“ erste Akt dieses Zeichenspiels
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Großformatige Drucke, die wie Blumenbilder aussehen, werden im Franziskussaal präsentiert. Sie sind der ästhetisch „schöne“ erste Akt dieses Zeichenspiels. Die Originale sind während der Diskursveranstaltungen entstanden; wir sehen den Akt der Performance „der anderen Maria“ im Video.
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Im Franziskussaal ist die zweite lebensgroße Projektion zu sehen, auf der die "andere Maria" (Claudia Fellmer) als Druckerin der Apfelspalten, die geprintet an den Wänden hängen, erscheint.
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Mit großformatigen Videoprojektionen von „Stellvertreter*innen“ also wird die Schau strukturiert: Sie tragen Einladungen, Fragen, Antworten und wissenschaftliche Beurteilungen zum Thema vor. Im zweiten Akt ist es der Schauspieler Oskar Moser, der die Ausführungen des Psychiaters Gerd Overbeck vorträgt. Dieser hatte mit dem Jesuiten Ulrich Niemann mit „Stigmata. Geschichte und Psychosomatik eines religiösen Phänomens“ im Jahr 2012 ein Standardwerk zu diesem Thema herausgegeben. Es drängt sich dabei die Frage auf: Ist es womöglich Wahn?
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Im zweiten Akt liest der Schauspieler Oskar Moser, als Stellvertreter ebenso lebensgroß gebeamt, aus den Schriften des Psychiaters und Klinikleiters Professor Dr. Gerd Overbeck, Frankfurt, der ein Standardwerk zum Phänomen "Stigmata" herausgegeben hat.
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Schließlich tropft es – im dritten Akt der Ausstellung – laut vernehmbar von der Decke: In unmittelbarer Nähe zu einer sinnlichen Tropfmaschine sind historische Repliken zur Stigmatisierung des Franz von Assisi zu sehen: Sie stammen aus dem Städel Museum in Frankfurt und den Vatikanischen Museen. (Letzteres war in der Ausstellung "Himmelschwer" im Jahr 2003 sogar im Original zu sehen.)
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JACOPO PALMA IL GIOVANE: Studienblatt mit dem Heiligen Franziskus, einer Verkündigung und drei Kopfstudien, 267 x 188 mm, Feder in Braun über Rötel, allseitige Einfassungslinie in Braun, auf Büttenpapier, altmontiert, mit Goldrahmung; Städel Museum, Frankfurt/Main
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Johann Anton Ramboux: Die Stigmatisierung des Heiligen Franziskus, 1818-1843 Bleistift auf Vergepapier, San Martino bei Trevi, 206x284mm Städelmuseum Frankfurt/Main
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Fra Angelico: Die Stigmatisierung der Hl. Franziskus, Vatikanische Museen
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Videoinstallation im Cubus: "Die andere Maria" wird von einem Ausstellungsbesucher befragt: "Kann man es glauben?", "Was ist an ihrem Wunder dran?"
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Die Ausstellung ist verbunden mit einer erwerbbaren Kunsteditionsmappe, die die ästhetisch sinnliche Ausstellung ins Medium zu sammelnder Kunst überträgt. Die handsignierte Mappe in einer Auflage von 50 Stück mit fünf Drucken ist zum Preis von € 250,– im KULTUM oder im Verlag Moderne Kunst, Wien erhältlich.
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TILL VELTEN: DIE ANDERE MARIA. Ein Zeichenspiel zu Stigmata in vier Akten. Hg. von Till Velten und Johannes Rauchenberger. Kartonierte Kassette (38x28 cm) mit fünf Farbdrucken im Format 51x72 cm, gefaltet auf 25,5x36 cm, Auflage: 50 Stück, numeriert und handsigniert. Mit einem Text von Angelika Affentranger-Kirchrath. Verlag Moderne Kunst Wien, 2021. ISBN 978-3-903572-57-7
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