Eine weltkirchliche Diagnose im Schatten des Konzils
Das Kulturzentrum bei den Minoriten wurde 1975 mitten in der damaligen Aufbruchszeit des II. Vatikanischen Konzils gegründet. Das Gründungsdatum dieses Kulturzentrums fällt mit der Diagnose von Papst Paul VI. in seiner Enzyklika "Evangelii nuntiandi" zusammen, wo dieser den "Bruch der gegenwärtigen Zeit mit dem Evangelium als zentrales Drama der Epoche" bezeichnet hatte. Das hatte auch die damals junge steirische Diözesanleitung um Bischof Johann Weber und Prälat Johann Reinisch konstatiert (freilich in umgedrehter Reihenfolge als der damalige Papst), indem sie damals fanden, dass "die Kirche den Kontakt zu den zeitgenössischen Künstlern verloren" habe. Im Visier der diözesanen Diagnose waren damals etwa die Künstler des Forum Stadtpark (sic!). Doch von einer Strategie, deshalb ein zeitgenössisches Kunst- und Kulturzentrum zu gründen, war man zu diesem Zeitpunkt wohl noch weit entfernt.
Die "Minoriten" – und ihre "Macht des Ortes"
Ausschlaggebend war vielmehr ein Ort: das damals schon ziemlich heruntergekommene Minoritenkloster in Graz mit seinem für diese Stadt schönsten Barockssaal ("Minoritensaal"), die kurz vor dem Verkauf an ein gegenüberliegendes Großkaufhaus standen, zu retten: Die Diözese übernahm für 34 Jahre die bauliche Verantwortung für das Gebäude (bis 2009). Für diesen Ort fasste Prälat Reinisch den mutigen Entschluss, in ihm für den damals schon aus der Reihe der sog. "wilden Kapläne" stammenden Josef Fink eine Arbeitsstätte für Künstler zu ermöglichen: Das was im Grunde die Gründungserzählung des später im deutschsprachigen Raum einzigartigen Kulturzentrum für zeitgenössische Kunst unter kirchlicher Trägerschaft. (Einige Jahre später (1978) sollte dann auch das Diözesanmuseum an diesem Ort seine Bleibe finden. Es blieb bis 2009, ehe dieses ins Priesterseminar verlegt werden sollte.) Doch die dahinter stehenden größeren Fragen, nämlich dass Kunst und Kirche in der Moderne oft gebrochene und unversöhnliche Wege gingen, waren somit ein zentrales Grundnarrativs "der Minoriten", wie das Kulturzentrum im Grazer Medien- und Volksjargon immer genannt wurde – bis 2009.
Die Gründungsurkunde, (die es damals niemals gab – erst Bischof Egon Kapellari errichtete das Kulturzentrum bei den Minoriten als eigenständige Rechtspersönlichkeit), war lediglich ein Satz von Bischof Johann Weber (1927–2020), Bischof von Graz-Seckau von 1969–2001, am 5. November 1975 an den damaligen jungen Kaplan Josef Fink, "neben der Schwesternseelsorge (!) sich auch um Künstler zu kümmern". Somit war Fink der erste (und einzige) "Künstlerseelsorger" – ein Amt, das es in anderen deutschsprachigen Diözesen bis heute gibt. Dieser war bereits in den 1960er Jahren als hervorragender Holzschneider biblischer Themen, Künstler und leidenschaftlicher Reformer im Sinne des jüngsten Konzils aufgefallen, für das er Zeit seines Lebens unermüdlich kämpfte. (Als in Österreich Mitte der 1990er Jahr kirchenpolitisch mit den Bischofsernennungen von Groer, Eder etc... die Neo-Restaurationswelle angelaufen war, war denn auch das Kulturzentrum bei den Minoriten die Anlaufstelle für das "Kirchenvolksbegehren" in der Steiermark.) Ein Jahr lang (1968) durfte der junge Fink – schon als Geistlicher – auch an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studieren. Bereits 1975 leitete er noch als Kaplan von Kalvarienberg die ersten Malerwochen, die er später zu seinen legendären Künstlerklausuren ausbaute. Eng sollte die Verbindung zum Bildungshaus Mariatrost unter der Leitung von Karl Kalcic, Karl Mittlinger und Martin Gutl werden; diesem bis 2019 existierenden Bildungshaus gestaltete Fink auch die erste Kapelle aus.
Ein Duo stellt sich dem “Gespräch der Feinde“
Von 1975 bis 1999 sollte der als Rektor des Kulturzentrums bei den Minoriten legendär gewordene Josef Fink (1941–1999) mit Harald Seuter (1941–2016) als „weltlichem Leiter“ (bis 1997) diesem Haus vorstehen. Das kreative Duo entwickelte mit den Schwerpunkten Galerie, Diskurs, Theater und Gesellschaftskritik in den 1970er und 1980er Jahren „die Minoriten“ als einen „Ort des Widerstands“. Als „linksintellektueller protestantischer Querkopf“ verlieh Seuter mit dem katholischen Priester, Dichter und Maler Josef Fink diesem Haus bis hinein in die Mitte der 1990er Jahre seine für das Grazer Kulturleben unverwechselbare Prägung. Als Theatermann und Organisator zahlreicher Symposien und Musikveranstaltungen legte Seuter den Grundstein für die spätere Mehrspartigkeit des Kulturzentrums. Er sprach von der „Macht des Ortes“, längst bevor das Nützlichkeits- und Optimierungsdenken in Gesellschaft wie Kirche einzog. Die legendären Künstlerklausuren Josef Finks im oststeirischen Poppendorf, aber auch mehrmals in Israel vermochten es, viele Kunstschaffende für ein zu bearbeitendes religiösen Thema zu begeistern: „Himmlisches Jerusalem“ (die posthum ausgerichtete Gedächtnisausstellung), ,“Gott“, „Israel – Land der Verheißung“ waren etwa derartige Themen. Fink sah sich in der Nachfolge Otto Mauers als leidenschaftlicher Kämpfer für das Verhältnis von „Kunst und Kirche“. Er war Priester, Maler, Poet, Kolumnist, Drehbuchautor. Er war im nachkonziliaren Milieu der steirischen Kirche „wie eine helle Brandung“ (So lautete die von Johannes Rauchenberger und Roman Grabner herausgegebene Publikation zu seinem künstlerischen Werk anlässlich seines 10. Todestages.)
Neue Kunstsparten
Der Aufbaugeneration der beiden Gründungsväter folgte die nächste – wobei da vor allem die beiden jungen Mitarbeiterinnnen der beiden „Leiter“, Ute Pinter und Birgit Pölzl, zu nennen sind: Sie legten weitere Grundsteine dafür, aus der Üppigkeit der Programmvielfalt ein „Mehrspartenhaus“ zu entwickeln.
Die Sparte Galerie wurde in der Mitte der 1990er Jahren mit der zunehmend sichtbar gewordenen Krankheit Finks – ihm wurden aufgrund einer langjährigen Diabetes-Krankheit in den letzten Jahren beide Beide ambutiert – von Ute Pinter betreut. Sie verlieh den „Minoriten-Galerien“ mit ihren kuratierten Einzelausstellungen ein zunehmend jüngeres Profil. Nach dem Ausscheiden Pinters, die nach Wien zur „Jeunesse“ wechselte, übernahm Johannes Rauchenberger ab 1999 das Galerienprogramm, das er bis heute kuratiert.
Ute Pinter baute (bis 1998) auch die Sparte „Neue Musik“ sowie die Experimental-Filmreihe „strange movies“ auf. Während letztere leider nicht weitergeführt werden konnte – Ende der Nuller Jahre wurde kurzfristig eine Experimentalfilmreihe mit Ruth Anderwald+Leonhard Grond gestaltet – übernahm ab 2000 der junge Komponist Florian Geßler die Sparte „Neue Musik“, der sie erfolgreich mit Porträtkonzerten profilierte. Ihm folgten die Komponisten Christian Klein, Daniel Mayer und Christoph Renhart, der das Neue-Musik-Programm derzeit gestaltet.
Das Erbe von Harald Seuter war vor allem Gesellschaftsdiskurs und -kritik, sowie Theater und Tanztheater, das damals vor allem im Minoritensaal möglich war. Nach seinem Ausscheiden als „weltlicher Leiter“ des Kulturzentrums bei den Minoriten im Jahre 1997 übernahm die junge Germanistin Birgit Pölzl „Tanz“ und „Wissenschaft“, die sie 1998 wiederum an den zum Team gestoßenen Johannes Rauchenberger weiterreichte. Nach zwei „Internationalen Tanztheaterfestivals“ im barocken Minoritensaal gab Rauchenberger die Sparte an die Kuratorin Eva Brunner ab, gefolgt von Eveline Koberg (ab 2004), die mit „tanzschrittweise“ der Sparte wiederum über viele Jahre ein besonderes Profil verlieh, indem sie die Tanzszene aus den ehemaligen Ostblockländern mit der Grazer Tanzszene in Form eines kleinen Festivals verwob. Das enge Gesamtbudget des Kulturzentrums sowie die restriktiven Vorgaben in der Bespielung des barocken Minoritensaals machten es unmöglich, ab 2014 das Ressort weiterzuführen.
„Wissenschaft“ wurde von Johannes Rauchenberger in „Zeitanalyse und Religion“ umgewandelt, wo in der Folge Buchpräsentationen, Vorträge und – wiederum als Folge des Kulturhauptstadtjahres – die „Wissenschaftsgespräche bei den Minoriten“ installiert wurden. „Puzzle Mensch“ machte den Anfang, gefolgt von „Puzzle Zukunft“, „Wissenschaften – Machenschaften“, „Schubumkehr! Rückbau als Vision“ etc… Eng war in den Nuller Jahren auch die Verbindung mit der Akademie Graz unter Emil Breisach, wo in der Reihe „Im Brennpunkt“ (gemeinsam mit der Urania) regelmäßig gesellschaftsanalytische Themen mit herausragenden ReferentInnen behandelt wurden.
Die Sparte „Theater“ schließlich, das letzte Erbe Seuters, wurde anfänglich unter Birgit Pölzl (und kurz unter Johannes Rauchenberger) als Sprechtheater weitergeführt, ehe die Theologin und Germanistin Edith Zeier-Draxl übernahm. Sie führte in einigen Stücken Regie, entwickelte die Sparte mehr und mehr als „Theater für Kinder“ weiter. Nach ihrem Ausscheiden im Jahre 2005 übernahm Barbara Rauchenberger die Sparte, die ein spezielles Profil für diese Zielgruppe entwickelte. Höhepunkte waren sogenannte „Eigenproduktionen“ wie „Die große Nacht – Weihnachtsoratorium für Kinder“, „Messias“ oder „Elsas Nacht“. Auch eine Schiene für Kunst für Junge Augen wurde in dieser Zeit aufgebaut. Das beliebte PIXI-Buch, ein Miniprogrammbuch mit kunstvoll gestalteten Illustrationen von Christine Kastl, gehen auf die Initiative Barbara Rauchenbergers zurück. Für kurze Zeit war sie Mitte der Nuller Jahre auch Leiterin der Jeunesse – Geschäftsstelle Graz. Sie leitete die Schiene bis 2014, ehe Johanna Frank-Stabinger (bis 2019) übernahm, gefolgt von Kathrin Kapeundl, die die Schiene „Junges Publikum“ seit 2020 gestaltet.
Neu war ab 1995 für das Kulturzentrum die Sparte „Literatur bei den Minoriten“ hinzugekommen, die die promovierte Germanistin Birgit Pölzl ab Mitte der 1990er Jahre aufbaute. Sie entwickelte dieses Ressort zu einer Institution für das Grazer Literaturleben – lange bevor etwa das Grazer Literaturhaus (mit ganz anderen Budgetmitteln) existierte. Das im Kulturhauptstadtjahr als Protestveranstaltung entstandene „Lesefest. Neue Texte“, die Schiene „Literatur vor Ort“, „Literatur Ost:West“, „Spoken Poetry“ mit der ersten Grazer SlamerInnenszene, „freiSchreiben. Literatur und Widerstand“ sowie die mit Schreibaufträgen versehenen „Mehrspartenprojekte“ waren die inhaltlichen Hauptlinien ihrer kuratorischen Arbeit als Ressortleiterin im Kulturzentrum bei den Minoriten bis zu ihrer Pensionierung 2019.
Leitungswechsel zum Millenium
Nach dem plötzlichen Tod von Josef Fink (+ 29.11.1999) wurde der erst 30-jährige Theologe und Kunsthistoriker Dr. Johannes Rauchenberger, von Fink quasi als „Nachfolger“ installiert, Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten. Rechtlich über viele Jahre freilich nur „provisorischer Leiter“: Für ein Dekret reichte es ob der Hektik jener Tage. Ein Dekret gab es auch später nicht, man hatte den Status mehr oder weniger aus den Augen verloren. Dafür eine Freiheit ungeahnten Maßes in der Programmgestaltung! Kein Kuratorium, kein Aufsichtsrat, nur ein Beirat – nicht ein Kontrollorgan – wurde ihm beigestellt. Besetzt von namhaften VertreterInnen des Grazer Kulturlebens mit Schnittstelle zur katholischen Kirche wurde dieser acht Jahre lang von Dr. Harald Baloch geleitet, gefolgt von Dr. Alfred Tschandl, der bis heute hochgeschätzter Vorsitzender dieses Gremiums ist. Mit der Installierung von Bischofsvikaren war anfänglich Prälat Dr. Willibald Rodler Mitglied dieses Beirats, gefolgt von Prälat Dr. Heinrich Schnuderl. Mit der diözesanen Strukturreform durch Bischof Dr. Wilhelm Krautwaschl ist der neue Leiter des „Ressorts Bildung Kunst und Kultur“, Walter Prügger, der höchste Vertreter in diesem Gremium als Schnittstelle zur Diözese. Gleichzeitig wurde das Kulturzentrum bei den Minoriten Teil dieses neu geschaffenen Ressorts.
Johannes Rauchenberger, der in Kunstgeschichte bei Prof. Wilfried Skreiner diplomiert und im Fachbereich Fundamentaltheologie bei Prof. Gerhard Larcher promoviert hatte, hatte kurz vor dem Abschluss seiner Dissertation 1997 als noch sehr junger Kurator die Ausstellung „entgegen. ReligionGedächtnisKörper“ (mit Alois Kölbl und Erich Witschke) – eine internationale Großausstellung im Grazer Kulturhaus und an Orten der Altstadt anlässlich der II. Europäischen Ökumenischen Versammlung in Kooperation mit dem Kulturzentrum bei den Minoriten – hauptverantwortet. Gleichzeitig war ihm als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes zeitgleich eine Assistentenstelle an der Bildtheologischen Arbeitsstelle der Universität zu Köln bei Prof. Dr. Alex Stock angeboten worden, sodass er fünf Jahre lang zwischen Köln und Graz in seinen Arbeitsstellen pendelte. Doch die Arbeit in Köln sollte ihn in seinem inhaltlichen Denken entscheidend prägen. Geschult an den „theologischen Kunsttheorien zu den Positionen der Moderne“ stellte er sich mit Alex Stock immer wieder die Frage, was es für die Religion bedeutet, wenn sie kulturell nicht mehr produktiv ist bzw. „auf der Höhe der Zeit“ ist. Daraus entstand zunächst die von Stock bereits maßgeblich begleitete Dissertation mit dem Untertitel „Kunst – Raum theologischer Erkenntnis“, später das Monumentalwerk „Gott hat kein Museum. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts“. Dass Ausstellungen theoriebildend sein können, hatte Johannes Rauchenberger von Stock in dessen Analysen von Ausstellungen wie „Zeichen des Glaubens – Geist der Avantgarde“ oder „GegenwartEwigkeit. Spuren des Tranzendenten in der Kunst unserer Zeit“, beide von Prof. Wieland Schmied kuratiert, der später auch mehrmals im Kulturzentrum zu Gast sein sollte.
Mehr als 60 ... Texte. Veranstaltungen. Abende. Treffen. Denkerinnensitzungen. Und natürlich Einladungskarten. Viel, viel mehr... Zehn mal 60? Birgit Pölzl nimmt ihren 60er ernst und geht in Pension. Literatur „bei den Minoriten“ wäre nicht ohne sie. Wir laden zum Fest für Birgit am 25. Oktober 2019 – zwei Tage vor ihrem 60. Geburtstag – ins KULTUM.
Mit Birgit Pölzls Ruhesteand geht ein großes Stück dieses Kulturzentrums zu Ende, fast ein bisschen so wie vor genau 20 Jahren mit Josef Fink. Dieser holte Birgit vor mehr als 25 Jahren „zu den Minoriten“ (wie man damals noch ganz selbstverständlich gesagt hat bzw. sagen durfte). Er war, wie viele andere auch, von Birgit hingerissen. Sie, die ehemalige Uni-Assistentin mit der komplizierten und schönen Sprache, begann anfangs „im Archiv“ und stellte 1995 die erste Dokumentation zum 30. Geburtstag des Kulturzentrums bei den Minoriten zusammen. Dort sprach Harald Seuter, der „weltliche Leiter“, von der berühmten „Macht des Ortes“. Das vergaß sie nie in Erinnerung zu bringen, wenn es um das berühmte Verhältnis von „Kunst und Religion“ ging, die dieses Zentrum als Grundnarrativ hat. KünstlerInnen empfänden eine sehr hohe Schwelle, ihren geistigen Fuß hierher zu setzen. Zumindest war das damals so. Birgit vermittelte. Nicht nur Literatur, wie wir Birgit dabei kennen – einleitend, gestikulierend, immer frei (aber immer textlich vorbereitet). Sie vermittelte schon damals, als sie angefangen hatte. Zwischen Sepp und Harald, später auch an anderen Stellen dieses Zentrums und seiner Kooperationspartner. Sie vermittelte gern und oft. Bald nach dem 30er „der Minoriten“ war Birgit Pölzl Wissenschafts-, Tanz- und Literaturreferentin dieses Hauses. So lernte ich sie kennen. Und lernte bei ihr. Zum Beispiel: Tanztheater... Das waren Zeiten. Mein erstes Editorial vor 20 Jahren begann mit den „laut lachenden Damen“. Birgit und Ute (Pinter) lachten damals gerne laut und viel.
Nach und nach wurde die Literatur bei den Minoriten eine Institution. „Mehrspartenprojekte“ (eines der Lieblingsworte Birgits) als CI bei den Minoriten, gab es viele. Darunter verstanden wir Ausstellung, Literatur, Neue Musik, Performance. Es sollten sozusagen die Nachfolgeprojekte von Sepp Finks legendären Malerklausuren sein. „Lust“ (1996, ihr Einstand), „NICHTS – no thing – sunder warumbe“ (1999), „hautnah“ (2000), „Himmel“ (2003), „Nie steht es nicht bevor“ (2005), „Viele Menschen fürchten den Tod wie die Kinder den Wau Wau“ (2006), „KUNST ZU GLAUBEN“ (2006), „Mein Bild - Meine Religion“ (2007), SCHATTEN (2007), FRECHHEIT - FREIHEIT (2008), LICHTMESZ (2009), PROMETHEUS! (2010). Endlich! (2011), 1+1+1=1 TRINITÄT (2011), Zu Friederike Mayröcker (2014), Im Kampfgebiet der Poesie (2016), Hoffnung als Provokation (2017). Aber es war nicht nur das: Im Jahr 2003 schuf Birgit ein Sammelbecken zahlreicher steirischer AutorInnen, die nicht in das Programm der europäischen Kulturhauptstadt aufgenommen worden waren: Das später zur größten Literaturveranstaltung werdende „Lesefest – Neue Texte“ war geboren. 2019 fand es zum 17. Mal statt. LiteratInnen vor Ort fanden eine zentrale Präsentationsplattform. Der Slam war durch Birgits Initiative bei uns schon eine Institution, als andere erst damit begannen. Die Reihe „Literatur. Ost> Literatur im KULTUM war in letzter Zeit so dicht wie noch nie. Vielleicht war es dem Abschied geschuldet.
Johanna Frank-Stabinger, die als Assistentin bei Birgit schon 2003 begonnen hat, wird die Literaturagenden übernehmen. Danke, liebe Birgit, für all die Jahre, die zehn mal 60 Veranstaltungen und noch viel mehr...
Umberto Ecos Diagnose, daß sich "intellektuelle oder moralische Indifferenz" ausbreite, ist schlicht beizupflichten. Besorgt ruft Eco zu einer gesteigerten Wachsamkeit professioneller Denker gegenüber Verharmlosung gefährlicher, insbesondere rechtslastiger Themen und Verführungsversuchen von bestimmten Seiten auf. Die Angst vor der Vereinnahmung kann sich aber auch zu einem neurotischen Syndrom auswachsen. Der Besuch eines Ortes, der "Minoriten", könnte demnach von besonders Wachsamen zu einem politischen Akt stilisiert werden. Die Gefahr, die "Macht des Ortes" (Eco) zu geringschätzen, ist sicher gegeben. Wenn gewisse Orte aber nicht mehr unbefangen betreten werden dürfen, sind auch der intellektuelle Streit, der Dialog und die Kommunikation zu Ende. Welche Gefahr größer ist, muß jeder einzelne für sich abwägen. Aus meiner Erfahrung ist das Betreten eines weltanschaulich, geistig oder ideologisch woanders stehenden Hauses wichtiger als das Fernbleiben.
Der anarchistische Haß gegen freiheitsraubende Tendenzen in der Institution Kirche, die Furcht vor der Vereinnahmung aus Machtzwecken, sind berechtigt. Aber nicht immer warten bezahlte Seelenfänger, gewissenlose Handlanger der katholischen Kirche darauf, daß liebe, naive Menschen hintergangen und nutzbar gemacht werden. Manche betrachten ja redlich Bemühte nicht gerade als Schurken, aber als PR-Agenten und Lebensverlängerer einer für sie obsolet gewordenen Institution. Die Angstlichkeit vor dem Berührtwerden ist ernst zu nehmen. Öffentliche Versuche verzweifelter Frömmler von höchst fragwürdiger Praxis der Kirche Verletzte als phantasierende Neurotiker abzuqualifizieren, sind ebenso fatal wie die geheimen Dummheiten von klerikofaschistischen, ständig nach unbedingtem Gehorsam rufenden Kleininquisitoren.
Wenn die Kirche versucht, mit ausgeklügeltem Einsatz nur Proselyten zu machen, soll sie streng und unnachgiebig kritisiert werden. Wenn "lahme" Amtsträger "blinde" Geistliche führen wollen, um einen Vers aus Shakespeares "König Lear" zu variieren, sollen Wachsame schreien. Wird bauernschlaue, pseudojesuitische Strategie angewendet, um die Menschen doch noch auf den rechten Weg zu bringen, soll dieses Vorhaben entlarvt werden. Wird ein versteckter Kulturkampf neu geführt, soll niemand zögern, es laut und offen zu sagen. Dieser Meinungskampf sollte aber ohne den Schutz eines sich gegenseitig vorgehaltenen, unsichtbaren Schutzschildes ausgetragen werden, damit weder "katholische" Intrige noch "linke" Lüge die Oberhand behalten und gemeinsam triumphieren können.
Natürlich ist das eine nicht gerne gehörte Forderung, ein Ruf nach der Moral, die in einem fernen Nirgendwo eine feine Utopie wäre. Es war jedenfalls der gute Vorsatz in frühen Pionierzeiten. In dieser Gesinnung bin ich vor bald zwanzig Jahren angetreten, um Kultur bei den Minoriten zu "machen". In der Zeit der auslaufenden 68er-Revolution war es noch programmatisch üblich, einen Marsch durch die Institution zu probieren.
Den Parolen dieser wilden Jahre von innen heraus zu reformieren, die Gesellschaft und ihre Institutionen durch Revolte in Bewegung und Atem zu halten, bin ich nicht sklavisch verfallen, jedoch in der Grundtendenz bis heute treu geblieben - ohne umstürzlerische, falsche Omnipotenzgefühle, auch wenn es für Besorgte oder Verantwortungsmaniker in der Kirche und mit ihr sympatisierenden christdemokratischen Parteifunktionären manchmal so angesehen hatte.
Klassisch ausgedrückt gibt es auch das kluge, römisch lateinische Wort vom "semper reformanda" oder die erotisch pädagogische Variante der Franzosen, der "education permanente". Es ist nicht leicht zu verstehen, warum ein "Gespräch der Feinde", wie es der manchen im katholischen Milieu unbequeme Historiker Friedrich Heer mit dem 1952 noch kommunistischen Osten wollte, nicht auch für Feinde des jeweiligen Milieus heutiger Tage gelten sollte. Hinter diesem Begehren, miteinander lustvoll zu streiten, steckte nicht anmaßender, missionarischer Eifer, weltanschaulich in eine Richtung lenken zu wollen. Denn, Wahrheitssuche im Geistigen ist immer radikal, wenn es ernst wird, alles andere ist schal und lau. Da nützt kein noch so hübsches Taktieren und treffliches Lavieren. Die Ablehnung von Suspendierten, die Scheu vor Dissidenten, vor Abweichlern, vor dem Schillern der Grenzgänger, die als Rohdiamanten beim Schleifen oft Funken der Wahrheit versprühen, waren und sind unbegründet. Die Erfahrung deutet darauf hin, daß damit ein System, ein Programm "biologisch" in Schwung gehalten werden kann.
Von der Nützlichkeit des liberalen Feigenblattes in monolithischen Institutionen wird in immer weniger ideologisierten, pluralistisch-relativen Zeiten kaum noch geredet.
Auch von der Alibifrau, dem Alibimann ist weniger zu hören. Das hat sicher mit dem vielbeklagten Orientierungsverlust und Wertezerfall zu tun, die "Lager" zerbröseln, die Grenzen fließen, lechts und rinks, wie der humorvolle Poet Ernst Jandl als einer der ersten über den politischen Ideenkampf scharf- und feinsinnig dichtete. Bildungseinrichtungen, Kulturzentren, auch die "Minoriten", sind wie alle aktiven Institutionen, einzig und allein an ihrem Tun und Handeln, am Umgang mit Menschen, an den Programmen, an den "Produkten" zu messen - an ihren Früchten zu prüfen. An den Unterstützungen, an dem gewonnen Profil, das geistig unabhängig ist oder nicht. An sonst nichts, wie ich meine.
Wenn mir eine politische Partei den Auftrag vor bald 20 Jahren erteilt hätte, Kultur zu "machen", hätte ich den Auftrag nicht nach seiner Dienstbarkeit für die Zwecke der Partei beurteilt, auch wenn das cui bono, die Nützlichkeit nach Meinung der ökonomisch überlegten Konzeptersteller wegen der Kosten Vorrang zu haben hat. Ob in der Endabrechnung durch die Einrichtung dieses "Hauses" mehr Kosten oder mehr Nutzen entstanden ist, mögen kühle Rechner debattieren. Jedoch, Peter Altenbergs frivoler Satz:
"Wes Brot ich esse, des Lied singe ich noch lange nicht", ist für mich aber schon lange eine Art Credo. Ein Kulturauftrag ist ein universaler Auftrag, den Menschen in seiner Einzigartigkeit mit allen Eigenschaften in einem Programm vorkommen zu lassen. Da gibt es kein drohendes Humanum, das Unternehmungen eines kirchlichen Kulturhauses profanieren oder sogar entsakralisieren könnte. Außer die Religion, in meiner Definition, an das Leben zu glauben, kommt programmatisch zu kurz.
Zum Schluß sei ein altes, vergilbtes Foto aus der Schublade der Vergangenheit geholt: Nützliche Idioten bestellen das Feld der klugen, bösen Laizisten, die dann nur noch ernten müssen,was andere tölpelhafterweise gesät haben. Diese Angst, diese Einbahnmentalität galt es jahrzehntelang zu bekämpfen. Wer es wagte und Worte wirklich ernst nahm, die "Eierschalen der Klerikalisierung" (Bischof Johannes Weber) abzulösen, geriet in den Strudel derer, die einmal ausgebrütete Eier heil halten und das lebenssprühende omelette surprise nicht zubereiten wollten.
... ist das Zentrum für zeitgenössische Kunst, Gegenwartskultur und Religion der Diözese Graz-Seckau. "KULTUM" ist ein Kürzel für Kult und Kultur – aber auch einfach eines für "Kulturzentrum bei den Minoriten". Dieses vermittelt seit beinah fünf Jahrzehnten zeitgenössische Kunstformen mit den Schwerpunkten Bildender Kunst, Literatur, Neuer Musik und führt eine eigene Programmschiene für Junges Publikum in den Schwerpunkten Kindertheater und Kunst. Die Unterstützung im Medium Film findet in Form eines Filmpreises im Rahmen des Festivals "Diagonale" für den "Besten Kurzdokumentarfilm" statt.
Rund 8.000 BesucherInnen besuchten im Vorjahr unser vielfältiges Programm in rund 111 Veranstaltungen.
Das KULTUM ist aber nicht nur ein Veranstaltungszentrum, sondern auch ein Museum. Dieses gibt es nicht als Raum, sondern es ereignet sich in der Zeit – in Form fein kuratierter Ausstellungen. Daraus entstand eine Sammlung mit dem Fokus von Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts (KULTUMdepot Graz). Dieser Schwerpunkt in der Ausstellungstätigkeit ist in dieser Konsequenz einmalig in Europa. Er wird begleitet von intensiver Theoriearbeit. Dazu erschien 2015 eine dreibändige Publikation (Gott hat kein Museum / No Museum Has God. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts), die ein virtuelles Museum und eine darin real existierende Sammlung in zehn Museumsräumen zeigt. Derzeit sind etwa 700 zeitgenössische Werke in der Sammlung des KULTUMdepots vertreten, die ausschließlich aus gezeigten Ausstellungen hervorgegangen ist. Einzelne Werke oder ganze Sammlungsteile werden in Sonderausstellungen in unterschiedlichen Museen gezeigt.
Darüber hinaus ist das KULTUM ein Ort des Diskurses für Gegenwartsfragen und Religion. Vorträge und Symposien und eine mehr als 15-jährige Vorlesungstätigkeit in universitären Lehrveranstaltungen spiegeln diesen Schwerpunkt wider.
Das Programm ist gekennzeichnet durch eine Mehrspartigkeit in den zeitgenössischen Kunstformen, durch höchstmögliche Qualitätssuche und durch Nachdenklichkeit für künstlerische, geistige, religiöse und gesellschaftliche Veränderungen und Transformationen. Als Veranstaltungsorte dienen der "CUBUS", das ursprüngliche Oratorium des Klosters, für Lesungen, Konzerte, Vorträge und Diskussionen. Ausstellungen finden im I. Stock des aus dem 17. Jh. stammenden Klostergebäudes der Minoriten statt, die 2010 zu neu gestalteten Ausstellungszellen umgebaut wurden.
Das Kulturzentrum bei den Minoriten wurde 1975 von Bischof Johann Weber gegründet und von Bischof Egon Kapellari zur selbständigen Rechtspersönlichkeit erhoben, es ist seit 2001 eine öffentliche Körperschaft. Von 1975 - 1999 leitete Rektor Josef Fink mit Harald Seuter dieses Haus, seit 1999 gestaltet Dr. Johannes Rauchenberger mit seinem Team das vielfältige Programm des Kulturzentrums.
Finanziert wird das Kulturprogramm durch die Diözese Graz-Seckau, das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport, die Kultur- und Europaabteilung des Landes Steiermark, das Kulturamt der Stadt Graz, sowie durch weitere Drittmittel- und Sponsorgelder.